Jakob der Reiche (German Edition)
redete.
»Er beabsichtigt«, schrieb Suiter, »die Einnahmen aus den italienischen Provinzen als Gegengeschäft für die Steuern anzubieten, die ihm auf dem Reichstag von allen Anwesenden genehmigt werden sollen.«
»Er macht schon wieder Luftgeschäfte«, stöhnte Jakob, nachdem er den Bericht zu Ende gelesen hatte. Doch plötzlich stutzte er. Hatte er Maximilians großen Plan überhaupt verstanden oder immer nur aus der Warte des Kaufmanns gesehen? Galten für den erwählten Kaiser des Reiches nicht ganz andere Maße und Gewichte als für einen Fugger? Was sprach dagegen, wenn ein Fürstbischof, ein Kardinal, ein Stellvertreter des Pontifex die Krönungszeremonie vornahm? – Wurden nicht sogar Hochzeiten zwischen Angehörigen fürstlicher Häuser oft genug per Stellvertreter geschlossen? Und warum musste der Krönungsakt unbedingt in Rom stattfinden? Könnte man nicht ebenso gut den Papst nach Innsbruck oder Wien bitten?
Jakob lachte leise über seine schon fast ketzerischen Gedanken. Dann fiel ihm ein, dass bereits früher in der babylonischen Verbannung der Päpste nach Avignon Krönungen nicht mehr in Rom, sondern an der Rhone stattgefunden hatten. War nicht alles beim Handel und in der großen Politik nur eine Frage der Vereinbarungen?
Allen gemeinsam etwas verkaufen! Genau das waren der Schlüssel und die Antwort!
»Maximilian wird noch in diesem Jahr gesalbt«, sagte er am selben Abend zu Conrad Peutinger. Und dann erzählte er ihm, was er vorhatte. Der Stadtschreiber von Augsburg und Berater des Kaisers wollte bereits am nächsten Morgen zum Reichstag nach Konstanz aufbrechen.
»Ich kann nur hoffen, dass deine Pläne gelingen«, sagte er besorgt. »Denn wenn du Maximilian nicht zu Hilfe kommst, dann steht es schlecht um ihn, um das Haus Habsburg und das Kaisertum. Dann nämlich müssen wir alle den Blick nach Westen auf den französischen König richten …«
Den ganzen Frühling über und auch noch in den ersten Sommerwochen traf jede Nacht ein Reiter vom Bodensee mit einem Bericht von Conrad Peutinger bei Jakob Fugger in Augsburg ein. Da die Tore um diese Zeit für normale Reisende geschlossen waren, benutzten diese Boten mit Genehmigung des Tiroler Marschalls Paul von Lichtenstein den sogenannten alten Einlass. Das kleine Stadttor war ausschließlich für Maximilian gebaut worden, nachdem Peutinger für Maximilian in der Kreuzgasse ein Haus gekauft hatte. Auf diese Weise konnte der König von seinen Jagdausflügen über die Wertach oder den Lech hinweg ganz nach Belieben auch noch nachts in die Stadt zurückkehren.
Jakob hatte für diesen Vorgang in seiner Schreibstube ein eigenes Fach wie für eine Faktorei eingerichtet, in dem er alle Briefe Peutingers chronologisch ablegte. Kein anderer wäre besser geeignet gewesen für die Beurteilung der Verhandlungen und Reden, der Streitversammlungen und der ständig wechselnden Gerüchte. Selbst beim Vatikan lobte der päpstliche Legat Bernardino Caravajal den Doktor Peutinger als den klügsten Mann nördlich der Alpen neben Ulrich von Hutten und einem ehemaligen Mönch namens Martin Luther irgendwo im Thüringischen.
Einige Mitteilungen Peutingers wunderten ihn dennoch. Wie auch zu anderen Reichstagen hatten viele ausländische Mächte Beobachter nach Konstanz entsandt. Jakob erfuhr, dass sowohl Kaufleute aus Venedig als auch ihre Konkurrenten aus Genua nicht in Konstanz, sondern bei den abspenstigen Schweizern Quartier genommen hatten. Unter den Beobachtern aus Frankreich und von den Signorien Oberitaliens erwies sich ein gewisser Niccolò Machiavelli als besonders neugierig.
An einem Tag Anfang Juni klopfte es wie üblich mitten in der Nacht an der großen Eingangstür des Hauses am Rohr. Jakob selbst öffnete, wie es sich in den vergangenen Wochen eingespielt hatte. Auch diesmal waren die Straßen vollkommen dunkel, und in kaum einem Haus schimmerte noch Licht. Der Bote mit den neuesten Nachrichten vom Reichstag in Konstanz schlüpfte wie ein Mönch mit seiner Kapuze an Jakob vorbei ins Haus.
»Gab es Gewitter unterwegs, Sturm oder Regen, weil Ihr so spät kommt?«, fragte Jakob, während er die Treppenstufen hinauf zu seinem Empfangszimmer vorausging.
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete der andere. »Aber es ist nicht leicht, bei Nacht zu reiten.«
Jakob blieb unwillkürlich auf der obersten Stufe stehen. Ruckartig drehte er sich um. Diese Stimme gehörte keinem Knecht und keinem Tassis-Boten! Der andere stand nun drei Stufen unter ihm.
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