Jakob der Reiche (German Edition)
insgesamt sieben Schritt langen und eine Elle breiten Karte nicht die wahren Entfernungen der einzelnen Posten und Herbergen, der Städte und Flüsse zueinander eingezeichnet, sondern nach Art der alten Römer die Zahl der nötigen Übernachtungen. Jede Zacke in der Linie zwischen Orten bedeutete eine Übernachtung – gleichgültig, wie groß der Abstand zwischen zwei Orten auf den ersten Blick erschien. Nicht die Meilen waren für die Berechnung eines Ritts oder Warenzuges entscheidend, sondern die Zeit, die dafür benötigt wurde.
Jakob betrachtete die schönen, klaren Küstenlinien, die hübsch gemalten Hügelketten und vielen vereinfacht eingezeichneten Flussläufe. Sie stimmten ebenso wenig wie bei anderen Karten, bei denen Gegenden nach frommen Vorstellungen erfunden wurden. Für Eingeweihte war die Peutingeriana eine Art Abakus für Wegstrecken. Jakob kannte alle Einzelheiten von der Ostsee bis zur Adria und von den Karpaten bis zum Rhein. Nur jene Lande, die weiter westlich lagen, waren ihm bisher fremd geblieben.
Diesmal suchte er die Stelle, an der Brüssel eingezeichnet war, dann die Strecke über Paris und Aquitanien bis zu den Pyrenäen. Er schob die Unterlippe vor, als er sich Kastilien und Aragon ansah. Um von Augsburg bis nach Spanien und weiter bis nach Lissabon zu kommen, waren Dutzende von Übernachtungen erforderlich. Allein daran erkannte er, wie schwierig es für Kaiser Maximilian werden musste, ohne seinen Sohn Philipp als Stützpunkt in den Niederlanden und mit einer wahnsinnig gewordenen Schwiegertochter in Kastilien seinen Anspruch durchzusetzen.
Jakob ließ sich in seinen Sessel fallen, legte beide Hände flach auf die ausgerollte Landkarte und dachte nach. Was würde geschehen, wenn die Spanier Maximilians Vormundschaft über die Infanten Karl und Ferdinand nicht länger akzeptierten? Wie würde das Türkisch-Osmanische Reich im Südosten reagieren, wenn der Sultan vernahm, dass die Niederlande und Burgund nicht mehr voll zu Maximilian standen? Wer konnte König Ludwig XII . aufhalten, wenn er von Mailand aus bis nach Genua vordrang und von dort aus so schnell nach Rom weitermarschierte, wie es bereits Karl VIII . getan hatte?
Und dann lachte Jakob still und vergnügt in sich hinein. Auch Maximilian musste schon vor dem Tod seines Sohnes erkannt haben, dass er nur eine einzige wirksame Waffe im Kampf um die Macht in Europa mit Spaniern und Niederländern, Ungarn und Franzosen hatte: Er musste sich zum Kaiser krönen und salben lassen. Und er, Jakob Fugger, entschied, ob er den Zug nach Rom und die Krone für den Habsburger bezahlen wollte oder nicht.
Während der letzten Monate des Jahres und zu Beginn des nächsten sprach Jakob mehrmals mit Peutinger. Er ließ seine Faktoren aus Frankfurt und aus Innsbruck, Venedig und aus Ungarn nach Augsburg kommen, um ihre Meinung zu erfahren. Zum Schluss, nachdem er nächtelang immer wieder alles durchgerechnet hatte, redete er auch noch mit Ulrich. Die beiden Fuggerbrüder trafen nur noch selten zusammen. Ehe er auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen kam, regelte Jakob mit dem Älteren noch einige Familienangelegenheiten. Obwohl die Witwe Georgs keinen Anspruch auf eine Auslösung oder irgendwelche Gelder aus der Gesellschaft hatte, beschlossen sie eine Zahlung von tausend Gulden, damit sie und ihre Kinder nicht in Armut fielen.
»Von mir aus können sie mit allem Hausrat und dem silbernen Geschirr in ihrer ehrbaren Behausung in der Annastraße wohnen bleiben«, sagte Jakob. »Aber vom Vermögen Georgs in der Firma möchte ich im Augenblick noch nichts für eine Abfindung auszahlen. Später einmal, in fünf Jahren vielleicht, kann die Regina Imhof um die siebentausend Gulden bekommen. Mit ihrem ältesten Sohn Markus haben wir ohnehin wieder einen Priester in Rom. Haupterben sollten nach meiner Ansicht die beiden jüngsten Söhne Raimund und Anton sein. Aber noch nicht in diesem Jahr.«
Ulrich war mit Jakobs Vorschlägen einverstanden. Sie legten fest, dass nach Georgs Sohn Markus auch der vierzehnjährige Anton bei Magister Johannes Zink in Rom in die Lehre gehen sollte. Georgs mittlerer Sohn Raimund wurde nach Ungarn geschickt.
Im Frühjahr brach alles, was Rang und Namen besaß, zum Reichstag in Konstanz auf. Maximilian hatte sich nicht wieder gemeldet. Nur Hans Suiter berichtete in einem Brief aus Innsbruck, dass die römische Majestät immer noch von dreißigtausend Mann zu Fuß und zu Ross für seinen Krönungszug nach Rom
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