Jakob der Reiche (German Edition)
genau fünfundsiebzig Mann im Hof.
Jakob entließ jeden, der ihm für diese Fahrt Treue geschworen hatte, mit einem halben Gulden Handgeld. Die Schreibarbeiten und die Organisation des Trecks übernahmen Männer, die bereits in Fuggerau und in den Thurzo-Bergwerken in den Karpaten Organisationstalent bewiesen hatten.
»Wir ziehen übermorgen bei Sonnenaufgang los«, sagte Jakob zu einem jungen Österreicher, der ebenfalls schon einmal eine Tonsur erhalten hatte und dann doch nicht Priester geworden war. »Sorgt dafür, dass die drei Wagen für die Lasten eiserne Bänder um die Seitenwände herum erhalten. Ich möchte nicht, dass uns auf halbem Weg irgendetwas auseinanderbricht.«
Der 3. Juli nach dem Kalender von Julius Cäsar war ein Donnerstag. Er begann schon in der Früh so gleißend hell, als wolle er zum heißesten Tag im Jahr des Herrn 1507 werden. Bereits bei der ersten Messe im großen Münster von Konstanz mussten die Ministranten den Priestern den Schweiß von Hals und Wangen abwischen. Schon in der nächsten Stunde wurde klar, dass an diesem Tag keine Versammlungen im Rathaus und in den verschiedenen Zunfthäusern abgehalten werden konnten. Ihre Mauern boten nicht genügend Schutz gegen die steigende Hitze.
Für das einfache Volk in der Stadt des Reichstags bedeutete die Hitze zusätzliche Arbeit und Mühe. Dennoch suchte nicht jeder den Schatten der Häuser. Adlige und Patrizier, die sich in den vorangegangenen Wochen mit schweren Festkleidern geschmückt hatten, drängten nun hinaus zu den Ufern des Bodensees und des Rheins.
Die festlichen Gelage sollten nicht mehr in den großen Sälen stattfinden, sondern draußen im Freien unter den Obstbäumen und auf den Uferwiesen. Tischplatten, Bänke und schwere Sessel mussten durch die Stadt gekarrt und dann ohne Wagen weitergeschleppt werden. Überall wurden Kessel mit Speisen und große Platten mit Gebratenem für die Versorgung der vielen fürstlichen Teilnehmer am Reichstag und ihres gefräßigen Hofstaats hin und her getragen. Dennoch verspürte kaum jemand große Lust auf Gesottenes und Geselchtes, Gebratenes oder vor Fett triefendes Gebäck. Die meisten lagerten lieber auf großen Tüchern und Teppichen im Schatten der Bäume. Selbst die Damen in der Gefolgschaft der Edlen sehnten sich mehr nach einem kühlenden Bad als nach der üblichen Völlerei.
Nach und nach erlosch jedes Treiben in der Hitze des Sommertages. Es war, als würde die Schifanoia, jene schreckliche, aus Italien bekannte und durch Hitze und lähmende Langeweile verursachte Trägheit, die gesamte Stadt erfassen. Nahezu alle Geräusche verstummten. Nur in weiter Ferne bellte ein Hündchen, und irgendwo bimmelte ein Glöckchen. Dann verstummten auch diese Geräusche und nur ein paar Wasserspritzer zeigten an, wo die Fische des Sees nach Mücken schnappten.
Zur Mittagsstunde blies von Osten her ein Tassis-Reiter in sein Horn. Andere Hörner fielen ein. Mehrere bewaffnete Reiter mit Hellebarden wurden sichtbar. Dann kamen schwere Wagen mit mindestens zwei Kutschern auf dem Bock, und direkt vor ihnen ritt ein stolzer, wie ein Venezianer gekleideter Signore.
Alle, die bisher träge in der Hitze gedöst hatten, rappelten sich auf und blinzelten dem Zug entgegen. Zögernd nahmen einige der Stadtwächter ihre Harnische und Wehrgürtel wieder auf, wischten sich den Schweiß von der Stirn und gingen mit schleppenden Schritten dem Wagenzug entgegen. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten die Reiter und Wagen unbehelligt in die Stadt einfahren können. Und genau das taten sie auch.
»Herr Jakob Fugger aus Augsburg mit wertvoller Ladung für unseren König!«, rief der Anführer der Bewaffneten den Stadtwachen zu. Jakob zügelte wortlos sein Pferd und blieb vor der Staubwolke stehen, die von einem plötzlich aufkommenden warmen Wind bis zum See geweht wurde. Erst jetzt wurde der ganze Wagenzug mit seinem bewaffneten Geleit sichtbar.
Noch bis Bregenz an der Ostspitze des Bodensees hatte das gesamte Gefolge Jakob Fuggers geglaubt, dass sie tatsächlich nach Sankt Gallen fahren würden. Seltsamerweise hatten sie am vergangenen Nachmittag die letzten Meilen bis nach Sankt Gallen nicht mehr bewältigt, sondern in Wienacht Rast gemacht.
Bereits bei Sonnenaufgang waren jeweils zwei Pferde vor die Wagen gespannt worden. Doch dann ging es nicht weiter nach Sankt Gallen mit seinem berühmten Kloster, sondern auf der Uferstraße bis zum Hafen von Romanshorn. Hier wurden die schweißnassen Pferde
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