Jakob der Reiche (German Edition)
ist nämlich nicht auf ihrer Burg, sondern im Palazzo ihrer Familie am Rialto …«
Jakob ließ sich zurückfallen. Er hatte sich, wie auch einige der anderen, ein wenig aus dem alten geschnitzten Stuhl erhoben. Sie beendeten ungewohnt schnell die Tafelgespräche und begaben sich zur Ruhe.
Jakob lag noch lange wach. Am nächsten Morgen entschloss er sich, doch nach Asolo zu reiten. Es war kein Umweg von Bedeutung, und der Sänger konnte irren. Nach einem kurzen, schnellen Morgenritt mit Oktobernebeln in den Tälern unter den bunten, wie gemalt wirkenden Weinbergen erreichte er die Mauern der kleinen, verschlafenen Stadt. Die beiden Wächter am Stadttor ließen ihn schon für ein paar Tirolinos ein.
Aber wo er sie auch suchte – er fand sie weder bei der Morgenmesse in der bescheidenen Bischofskathedrale noch auf den leeren Straßen oder an den steilen Hügeln der zwei Burgen auf den Bergkuppen. Erst als ein barfüßiger Junge seine Schweine an ihm vorbeitrieb, hörte er, dass er umsonst gekommen war.
»Sie ist nicht da!«, rief der Junge. »La regina triste ist in ihrer Kutsche nach Venedig gefahren.«
Die Nebel über der Lagunenstadt hatten etwas Unheimliches und Geheimnisvolles. Dennoch freute sich Jakob Fugger, wieder einmal mit einer Gondel zum Fondaco dei Tedeschi zu gleiten. Während die Palazzi rechts und links am Canal Grande wie flüchtige, geheime Bilder aus einer jenseitigen Welt auftauchten und vorbeihuschten, leuchtete der Nebel über ihnen im diffusen Licht der Sonne.
Jakob Fugger war in einer Kutsche mit einigen Bewaffneten zu Pferd, aber ohne Packesel und Maultiere über die Alpen gekommen. Am Brenner hatten sie zwei zusätzliche Pferde vor die Kutsche spannen und schwere Pelzmäntel gegen die Kälte und den Schnee anlegen müssen. Obwohl es erst Oktober war, begleitete die Kälte sie bis nach Bozen hinab. Erst ab Trient wurde es mediterran und warm.
Überall an den Zwischenstationen hatte Jakob die Gelegenheit genutzt und sich über den Zustand des Handels und die Bewegungen der Märkte berichten lassen. Auch bei den einzelnen Posten der Tassis-Reiter war er ausgestiegen, um sich mit den Herbergsvätern und den Stallmeistern zu unterhalten. Jeder von ihnen war mit gezogener Kappe und dankbaren Verbeugungen zurückgeblieben, nachdem Jakob mit reichlich Silber für die gute Zusammenarbeit gedankt und auch für die anderen Bediensteten etwas Geld zurückgelassen hatte. So wie Achsen und Räder der Wagen in den Kaufmannszügen sorgfältig mit Teer und Leinöl geschmiert werden mussten, konnte das Wohlwollen in den Poststationen manchmal einen Tag oder sogar mehr an Zeitgewinn für bestimmte Sendungen bewirken. Ein gutes Pferd, das nicht an Boten des Kaisers oder einen anderen Handelsherrn, sondern an Männer im Fuggerauftrag ausgegeben wurde, war zumeist mehr wert als die zusätzlichen Kosten für den reibungslosen Wechsel.
Die Gondel legte vor dem Bogen der hölzernen Rialto-Brücke an. Jakob ließ sich Zeit beim Aussteigen. Noch hatte ihn keiner der Verwalter und Kaufherren im Inneren des burgartigen Gebäudes entdeckt. Wer hier unten an ihm vorbeieilte, achtete kaum darauf, welcher der hohen Herren kam oder ging. An einigen Stellen mitten im Hof wurden Lasten übereinandergestapelt, an anderen brannten kleine Holzkohlenfeuer mit dünn nach oben steigenden Rauchfäden. Der Duft von gerösteten Maronen mit Schweinekrusten zog zum Hafenportal herüber. Jakob lächelte, als er sich daran erinnerte, wie er zum ersten Mal die eigenartigen, zugleich vertraut und fremdartig riechenden Aromen gerochen hatte. Die Gehilfen in den Lagerhäusern aßen die einfache, würzige Leckerei besonders in den frühen Morgenstunden und an kalten Tagen, wenn die Feuchtigkeit in Schwaden über die Kanäle zog.
Schneller als erwartet siegte auch die Sonne über Rauch und Dunst im Innenhof des Fondaco. Es war, als würden die Arkaden und die Galerien in den oberen Etagen ihre Säulendurchlässe wie große Augen öffnen. Sofort kamen auch weitere Gehilfen der verschiedenen Händler auf die Balkone. Rufe und Lärm verstärkten sich, als hätte gerade erst die Sonne die vielen Menschen in den Dutzenden von Kammern im großen Handelshaus der Deutschen wach geküsst.
»Welch eine Freude!«, rief in diesem Augenblick eine kräftige Stimme von einem der durchlaufenden Balkone im ersten Stockwerk. »Jacopo ist zurück! Il Fuccero!«
Es war, als würde eine warme Feder Jakobs Seele streicheln. Schon die Erwähnung seines
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