Jakob der Reiche (German Edition)
Besonders in den kalten Monaten saß er bei warmem und gewürztem Wein, manchmal auch mit gepfeffertem Gebäck beim Schein einer Kerze in seiner Arbeitskammer und machte sich Notizen über neu aufgetauchte Volksbelustigungen oder Veränderungen in der Mode. Er las von abgedeckten Glückstöpfen, in die man für einen Heller oder einen Kreuzer greifen konnte, um dann irgendwelchen Schnickschnack herauszuholen oder einen kaum wertvolleren Überraschungsgewinn. Jakob ließ sich auch Muster jener neuen Schuhe bringen, die mehr und mehr die alten Schnabelschuhe ablösten.
»Klobig und grob«, sagte er abfällig, als er die breiten Schuhe betrachtete, die sich »Kuhmäuler« und »vorn geschlitzte Bärenfüße« nannten. Er brauchte nicht lange zu überlegen: Mit dieser Mode wollte er nicht handeln.
Als seinem Bruder Georg ein Sohn geboren und auf den Namen Anton getauft wurde, ertappte Jakob sich zum ersten Mal bei ernsthaften Gedanken an eigene Nachkommen und eine eigene Familie. Dann aber lenkte ein Tassis-Reiter ihn von weiteren Gedanken in dieser Sache ab. Der Bote brachte Nachricht vom Tode Kaiser Friedrichs. Jakob sprang sofort auf, warf sich einen Mantel über und lief zum Haus am Rindermarkt. Ohne Voranmeldung eilte er zu Ulrich.
»Es ist so weit!«, rief er ihm zu. »Die Kurfürsten werden König Maximilian zum deutschen Kaiser wählen. Aber die Krone kann er nur durch den Papst bekommen. Und das auch nur dann, wenn wir ihm dabei helfen.«
»Nein!«, sagte Ulrich, ohne lange nachzudenken. »Wir werden uns nicht mehr in die gefährlichen Geschäfte mit Herrschern und Königen verwickeln lassen! Seit gestern weiß ich, dass unser unglücklicher Vetter Lukas vom Reh gestürzt ist.«
»Du meinst, weil sich die Bürger von Leuven in den Niederlanden weigern, für die Schulden Maximilians einzustehen?«, meinte Jakob kühl. »Das ist mir bereits seit drei Tagen bekannt. Ich habe deshalb alles vorbereitet, um aufzukaufen, was wir von Lukas’ Geschäften übernehmen können.«
»Du hast gewusst, dass Maximilians Sicherheiten nichts mehr wert sind?«
»Von Anfang an«, gab Jakob zu.
»Dann stimmst du meiner Meinung zu, dass er nichts mehr von uns verlangen darf?«
»Im Gegenteil«, sagte Jakob und lachte. »Von mir aus kann er hunderttausend oder auch das Doppelte oder Dreifache bekommen – selbst wenn wir uns all das erst beschaffen müssten. Aber ich will, dass Maximilian meine Zügel spürt. Er soll von mir aus zu allen anderen gehen, nachdem wir ihm sein nächstes Darlehen verweigert haben. Doch dann beweisen wir ihm, dass er ohne uns verloren ist. Ich werde so viel Silber aus den Bergen holen und außer Landes bringen lassen, dass er es diesmal spürt. Und du, Ulrich, du musst dich um das Kupfer kümmern, denn Kupfer soll die nächste Daumenschraube sein, mit der wir uns den Habsburger endgültig handzahm machen.«
»Das heißt, du setzt auf Krieg.«
»Nicht nur auf einen, Ulrich. Solange noch die Türken gegen das Reich anrennen und Karl VIII . das niederländische Burgund und Italien gleichzeitig bedroht, wird Kupfer für Kanonen schon sehr bald wichtiger werden als Silber oder Gold.«
Verlorene Bräute
Genau genommen waren der deutsche und der französische König mit derselben Frau verheiratet. Obwohl Maximilian Anna von der Bretagne nie selbst gesehen und niemals in Person bei ihr gelegen hatte, galt er nach allgemeinem Recht dadurch mit ihr vermählt, dass sein Gesandter Wolfgang von Pollheim die schlafende Anna mit seinem nackten Bein im Bett berührt und damit eine Stellvertreter-Ehe per procuratorem geschlossen hatte. Dennoch hatte Maximilian Anna nicht vor dem Zugriff Karls VIII . bewahren können. Wien war weit, deshalb hatte der König der Franzosen sie ohne große Umstände zu sich geholt und geheiratet.
Als Jakob wieder einmal mit Maximilian über Geld sprach, stellte er fest, dass der König den Verlust der bretonischen Fürstin nicht besonders tragisch nahm.
»Es gibt Reichere und Bessere für mich«, stellte Maximilian nüchtern fest.
»Und an wen denkt Ihr dabei, mein König?«
Maximilian sah Jakob an und verzog sein Gesicht zu einem spitzbübischen Schmunzeln. »Es gibt da einen Herrscher in Mailand, der den Franzosen die Türen nach Italien weit geöffnet hat. Bei Licht besehen, hat dieser Herzog Gian Galeazzo Sforza König Karl VIII . regelrecht eingeladen, Italien zu erobern. Andererseits hat dieser skrupellose Herzog eine Schwester, die mühelos vierhunderttausend
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