Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
befand mich auf einer unbefestigten, lang und steil einen Tafelberg hinauf führenden Geh- und Radpiste. Die Spanier haben zwar sicherlich in gutwilliger Absicht zur Anlegung dieser Pisten die Grasnarbe aufgerissen, jedoch versäumt, die Pisten einigermaßen zumindest mit Schotter zu befestigen. So führt jeder heftige Regenschauer unweigerlich zum Pistenchaos. Ich hatte so etwas noch nicht erlebt! Obgleich ich auf festgestampften Erdreich vor Beginn des Regens marschierte, war der Weg durch den Regen in kürzester Zeit derart aufgeweicht, dass er sprichwörtlich zum Morastloch wurde. Mir blieb also nichts anderes übrig, als die eine Seite des Berges hinauf und die andere wieder steil hinab zu balancieren. Es war die reinste Rutschpartie. Meine Wanderstiefel glichen langsam immer mehr Plateau-Schuhen vor lauter Dreck an den Sohlen. Ich musste derart gerackert haben, dass der Dreck an meiner Jeanshose entlang bis hinauf zu meinen beiden Rucksäcken spritze. Trotz Überdruss wegen dieses misslichen Umstandes war ich dennoch von der Schönheit der sich mir auf der anderen Bergseite bietenden, menschenleeren und einsamen Landschaft fasziniert.
Auf dem Rastplatz bei der Quelle Fuente El Piojo setzte ich mich nieder, um erneut einen Zwischentagesbericht zu verfassen. Die Sonne war wieder zwischen den Wolken herausgetreten und die steinernen Tische und Bänke auf dem Rastplatz waren bereits abgetrocknet. Um nicht derart schmutzig mein Unterkunftsquartier ansteuern zu müssen, stand eine notdürftige Reinigung meiner Sachen mit dem Quellwasser an. Als ich über dem Quellwassertrog gebeugt mein Schweißtuch, das ich zum Putzlappen umfunktionierte, ausschwenkte und erneut dunkle Regenwolken aufzogen und weit und breit keine Menschenseele zu sehen war, verspürte ich urplötzlich, dass ich mit Gottes Natur vereint war. Ich war ein sich als solches fühlendes Geschöpf geworden.
Vor der kleinen Kirche San Nicolas, die zu einem mittelalterlichen Pilgerhospital des Malteser-Ordens gehörte und für Herbergszwecke restauriert war, musste ich auf einem provisorischen Schild lesen, dass die Herberge überfüllt sei. Also zog ich verfolgt von den mitleidigen Blicken der in Reih und Glied wie Spatzen eng beieinander auf dem Kirchenaußenbänkle Sitzenden, hier Untergeschlupften ca. 2 km weiter zur Nächsten. Auch dort wurde ich auf die Überfüllung hingewiesen. Dank dem Engagement einer älteren Spanierin unter den Herbergsgästen konnte doch noch eine Matratze und eine Schlafstatt gefunden werden. Ich sollte im Treppenhaus unter der Treppe nächtigen. Und ich war dennoch zufrieden. Konnte ich doch duschen und die Toiletten benutzen und musste mich nicht der Gefahr aussetzen, die 8,5 km entfernt liegende, nächste Herberge nicht rechtzeitig vor Einlassende zu erreichen. Pensionen oder Hotels gab es weder vor Ort noch auf den nächsten 8,5 km.
Als ich gerade meinen Tagesbericht abschließen wollte, kam zu mir eine junge Deutsche und vertraute mir an, dass sie permanent Angst habe, dieses könne auch ihr einmal passieren und niemand würde sich dann für sie einsetzen. Spanischkenntnisse würden hierbei auch nichts nützen, meinte sie ängstlich.
Kaum hatte ich mich wie der Roman- und Filmheld Harry Potter unter der Treppe eingerichtet und zwei Deutsche dieses sahen, erfolgte quasi deren Exodus aus dem überfüllten Schlafsaal zu mir heraus ins Treppenhaus. Typisch, dachte ich bei mir. Zuerst nicht das Maul aufkriegen und dann meine Notlösung für sich selbst gut heißen. Meine heute 21,5 km lange Wanderung war sehr erlebnis- und erkenntnisreich.
Mittwoch, den 26.05.:
Von der Ortschaft Itero de la Vega aus, vorbei am gotischen, mit vielen Jakobsmuscheln reich dekorierten Pranger vor der Ortskirche Boadilla del Camino und entlang dem im 18. Jahrhundert als Wassertransportweg meisterhaft errichteten Kanal von Kastilien mit seinen Uferbäumen erreichte ich über eine der zahlreichen Schleusen hinweg die Kirche San Martin im Orte Frómista.
Auf dem Plaza San Martin hielt ich Mittagsrast und verzehrte mein restliches Brot und den Käse von gestern Abend. Mein Gedärm drückte, so dass ich die Toiletten in dem am Platz befindlichen Restaurant aufsuchte. Da ich erst um den Schlüssel für die Toiletten bitten musste, wäre es mir peinlich gewesen, sogleich wieder zu verschwinden, ohne etwas Geld im Restaurant zurückzulassen. Selbst auf die Gefahr hin, dieses später einmal als Rechtfertigungsgrund anzusehen, hatte mich die
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