Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
hatte ich meine Chance erkannt und ihr gleichfalls auf Englisch geantwortet, dass ich Deutscher bin, aus dem Raum Heilbronn in Baden-Württemberg stamme und lediglich Deutsch und ein Wenig Englisch spreche. „Was, Sie sind Deutscher?“, fragte mich überrascht einer meiner Tischnachbarn und bemerkte, dass er und zwei weitere am Tisch Sitzende italienisch stämmige Schweizer seien, worauf hin wir beide kurz ins Plaudern kamen. Hierbei erfuhr ich, dass die drei einmal 61 Kilometer an einem Tage geschafft hatten.
Dienstag, den 25.05.:
In den Ruinen des Klosters San Anton, in dem Rastplätze neben einem spartanischen Refugium eingerichtet waren, traf ich auf drei andere Schweizer. Einer aus der Schweizer Gruppe erzählte mir auf Deutsch, dass er in Tübingen bei Professor Dr. Küng Theologie studiert habe und die beiden anderen, des Deutschen nicht mächtig, Professoren an Schweizer Universitäten seien. Sie ließen es sich nicht nehmen, an diesem geschichtsträchtigen Orte ein dreistimmiges Halleluja anzustimmen, gefolgt von einem deutschen Abendlied. Am rührigsten war allerdings der gleichfalls als Trio vorgetragene Jodler. Ich war genauso wie ein Franzose, der hinzu gestoßen war, den Tränen nahe.
Der Sankt Antoniusorden hatte sich der Pflege der am Antonius-Feuer Erkrankten gewidmet und hierauf spezialisiert. Man wusste zwar schon damals, dass diese lepraartige Krankheit vom Getreide herrühre und dass sie nicht ansteckend ist, besaß jedoch wie so oft keine Heilmittel hiergegen. Die Häufigkeit der Antoniusklöster in dieser Gegend lag darin begründet, dass hier schon seit alters her überwiegend Getreide insbesondere Roggen angebaut wurde. Mit der Reformation erlosch dieser Orden wie zahlreiche andere. Bereits Kaiser Karl V, der ein erbitterter Reformationsgegner war, habe sich wie
Luther gegen eine Jakobspilgerschaft ausgesprochen. Es sei besser, im Glauben innig festzuhalten und seiner täglichen Arbeit gewissenhaft nachzugehen, als sich den Phantastereien und dem Wunderglauben auf dem Jakobsweg hinzugeben, seien die kaiserlichen Worte nach den Erläuterungen des Schweizer Theologen gewesen.
Durch die einstige Klostervorhalle führte der Camino auf der öffentlichen Straße nach Castrojeriz. Um den beginnenden Regenschauer so weit wie möglich entgehen zu können, kehrte ich in der nächsten Bar zur Mittagsrast ein. Die Zeit des Wartens vertrieb ich mir mit dem Durchblättern des Bar-Gästebuches. Hierbei fiel mir ein kalligraphisch sehr hübsch gestalteter Psalmspruch auf, den ich zuerst für einen Druck hielt: „No nobis Domine, no nobis sed nomini tuo da gloriam (ps.115)“ (Nicht uns Oh Herr! Nicht uns! Sondern Deinem Namen sei Ehre!). Mein Eintrag ins Gästebuch lautete hingegen wie folgt:
„ 25.05.2004 „Contra frustram eurem“
Kann die Tradition der Jakobspilgerschaft noch stärker gegenwärtig erlebt werden, als durch ein dreistimmiges Halleluja in den ehrwürdigen Ruinen des vormaligen Klosters San Anton, das ich von drei Schweizern vorgetragen zufälligerweise genießen konnte. Zuflucht vor dem Regenschauer fand ich zwar nicht im klösterlichen Schutze, jedoch unter dem Dach dieser Kneipe. Sobald es zu regnen aufhört, gilt erneut der alte Pilgergruß: Ultreja!
Grüße von Ulrich aus Schwaigern (Württemberg)“
Und der Regen hörte auf, jedoch nicht für lange. Ich musste schon eine lächerliche Figur abgegeben haben, als ich mit meinem knallig gelben Bauchrucksack, meinem großen Rückenrucksack, meinem Schlapphut auf dem Kopfe und wegen der Windstille mit meinem in der Hand gehaltenen, meine ganze Erscheinung baldachinartig überspannenden, giftgrünen Regenschirm durch den Regen tapste. Auf dem Wege verspürte ich eine gewisse innere Unzufriedenheit. Seit Burgos schien mir meine Pilgerschaft immer mehr zum wandertouristischen Unterfangen zu verkommen. Auch hatte ich wieder in vorgenannter Bar ein großes, belegtes Baguette nebst einem Milchkaffee, einer Coca-Cola und einem frisch gezapften Bier verzehrt. Zusehens konzentrierte ich mich darauf, wo ich übernachten, zum Essen einkehren und wie viele Kilometer ich hierbei zurücklegen könne. Wo war mein Idealismus geblieben, den Weg nach Santiago de Compostela im Einklang mit Gott und seiner Natur zurück zu legen. Ab morgen, so gelobte ich mir, werde ich mich läutern.
Es dauerte nicht lange, und die Natur hatte mich wieder vereinnahmt. Ein kräftiger Sturmwind erhob sich, der Regen wurde zu einem heftigen Schauer und ich
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