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Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Titel: Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Gast
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ich sogleich zum Fenster hinaus, ob er mir nicht helfen und die Hotelrezeption rufen könne. Anscheinend beflügelte die Not meine äußerst dürftigen Spanischkenntnisse. Er hatte mich verstanden und antwortete mit einem befreienden „Vale!“, Einverstanden. Um 10.00 Uhr endlich wurde ich aus meinem Gefängnis befreit. Meine Retterin musste laut auflachen, als sie mich auf einem Stuhl vor der Etagentüre neben meinen beiden Rucksäcken sitzend vorfand.
    Da stündlich in der Kathedrale Gottesdienste abgehalten wurden, stand für mich die Danksagung für meine glückliche Errettung außer Frage. Es war nebensächlich, dass ich hierdurch mein gestern mir vorgenommenes Tagesprogramm nicht gänzlich verwirklichen konnte. Dank dem, dem Dank gebührt!
    Ein sehr feierlich gehaltenes Hochamt anlässlich Christi Himmelfahrt, das in Spanien kein Wochenfeiertag ist und daher am Sonntag darauf kirchlich gefeiert wird, wurde in der Seitenkapelle der Kathedrale, die der Heiligen Tekla geweiht und für Gottesdienste und stille Andachten vom Tourismus freigehalten wird, begangen. Bereits beim Einzug der Geistlichkeit begleitet von einem sehr majestätischen Chorgesang lief es mir eiskalt den Buckel hinunter. Wie in der katholischen Liturgie üblich, ist bei kirchlichen Hochfeiertagen der Gesang, sei er rezitativisch vom Priester, von einem Chor oder von der Gemeinde als Gebet vorgetragen, bestimmend. Die musikalische und choreographische sowie szenenbildnerische Harmonie, bedingt durch das Orgelspiel, den Chorgesang, die reizvollen Rezitativen, den Anblick der neun in feierliche Messgewänder gekleideten Priester und ihrer sechs erwachsenen Ministranten, des prachtvollen Hochaltares, der Kerzen, des Weihrauchfasses mit seinem Duft, und...und...und... war hinreißend und ergreifend. Und über allem thronte eine plastische Hochaltardarstellung des Heiligen Jakobs als Matamoros, als Maurentöter. Da der Klingelbeutel an mir vorüber ging, ohne dass ich mein bereit gehaltenes Opfergeld einwerfen konnte, gab ich dieses einer Bettlerin an der Kathedralenpforte.
    Im ca. 3 km östlich von Burgos gelegenen Kartäuserkloster von Miraflores sprachen mich ein älterer Herr und seine ältere Dame, die anscheinend eine Kulturgruppenrundreise mitmachten, bewundernd auf meine Herkunft und den Verlauf meiner Pilgerschaft an. Da sie aus dem Raum Baden-Baden stammten, wollten sie unbedingt ein Photo von mir mit meinem Schlapphut auf dem Kopf machen. Zum ersten Male stand ich als Jakobspilger Modell. Unglaublich aber wahr! Ihr Zuspruch, dass ich meine Pilgerreise erfolgreich absolvieren werde, baute mich mental ungeheuerlich auf. Es ist doch immer wieder aufmunternd, wenn fremde Menschen an einen glauben. Als ob er jeden Augenblick von seinem Sockel herabsteigen könnte, wirkte auf mich eine Statue des Gründers des Kartäuserordens, des heiligen Brunos.
    Um wieder auf den Camino de Santiago zu stoßen, musste ich zurück nach Burgos und dessen Santa-Maria-Stadttor erneut durchschreiten. Zwar bin ich heute nur 9 km näher nach Compostela vorgerückt, meine Füße hingegen mussten mindestens 15 km bewältigen.

     

Montag, den 24.05.;
     
    Von der Herberge in Tardajos aus begab ich mich heute weiter gen Compostela. Abends zuvor war ich in der Herberge mit einem Abiturienten ins Gespräch gekommen, der gemeint hatte, dass die meisten bereits in Burgos aufgeben würden, was mich schon ein bisschen mit Stolz erfüllte. Ich war noch im Rennen! Anstelle der in meinem Reiseführer gerühmten „rührenden Betreuerin Victoria“ hatte ich dort einen kauzigen Herbergsvater vorgefunden, der akribisch meine Tagesstempel geprüft und mich nach meiner letzten Unterkunft ausgequetscht hatte. Wahrscheinlich war ihm der Umstand nicht geheuer gewesen, dass mein Pilgerpass für vorvorgestern einen Tagesstempel meines Hotels und für vorgestern denjenigen der Kathedrale auswies und dass ich gestern nur 9 Tageskilometer zurück gelegt hatte. Irgendwann schien er dann doch begriffen zu haben, dass angesichts des gestrigen Feiertages eine derart geringe Tagesstrecke für meine Inanspruchnahme seines Pilger-Etablissements durchaus zu rechtfertigen war.
    Während ich so weiter in den Morgen hinein wanderte, entstanden plötzlich Bilder von der Flucht meiner Oma mütterlicherseits mit zwei ihrer drei Töchter vor meinem geistigen Auge. Wie sie mir erzählt hatte, war sie kurz vor Beendigung des II. Weltkrieges zusammen mit meiner Mutter und deren jüngeren Schwester aus dem

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