Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
von den Serben für ihren Wohnort errichteten Zwangssammel- und Zwangsarbeitslager nach Rumänien geflohen, weil sie zur Überzeugung gelangt gewesen war, dass ein Verbleiben im Lager unweigerlich den Tod während eine Flucht eine Chance zum Überleben bedeuten würde. Da ein Durchkommen durch die Kriegsfronten im Westen aussichtslos gewesen wäre, war ihr nur die Flucht nach Osten geblieben. Meine Großeltern waren mit ihren drei Töchtern in Lazarfeld im damaligen Königreiche Jugoslawien ansässig gewesen. In Lazarfeld hatte der Einmarsch deutscher Truppen im II. Weltkrieg wie in allen anderen deutschen Ortschaften der einstigen k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn einen Hurrapatriotismus für Deutschland entfacht. Die Probleme des k.u.k. Vielvölkerstaates hatten auch dessen Nachfolgerstaaten nicht lösen können. Während die älteste Tochter zur Zwangsarbeit nach Sibirien verschleppt wurde, hatte man meine Mutter und ihre jüngere Schwester bei ihrer Mutter belassen. Eine Nachricht des Roten Kreuzes kurz nach Kriegsende über den Aufenthaltsort meines Opas, der sich freiwillig der deutschen Wehrmacht angeschlossen hatte, veranlasste meine Großmutter, zusammen mit ihren beiden ihr verbliebenen Töchtern die in Rumänien Vorgefundene Sicherheit für Leib und Leben aufzugeben und erneut die Flucht dieses Mal nach Deutschland zu wagen. Obgleich sie ihre rumänische Herrschaft, in deren Dienste meine Oma getreten war, eindringlich und wiederholt davor gewarnt hatte, dass sie und ihre beiden Töchter erschossen werden würden, falls sie von den Schergen des damaligen Partisanenführers und späteren Staatspräsidenten Jugoslawiens, Tito, gefasst würden, hatte sie dennoch von ihrem Vorhaben nicht abgelassen. Ihr war bewusst gewesen, dass sie mangels
Serbisch- und Kroatischkenntnissen zu Fuß durch Jugoslawien fliehen musste, wollte sie das Risiko einer Entdeckung so gering wie möglich halten.
In diese Situation ihrer Flucht nach Deutschland war ich hineinversetzt, als ich alleine auf meinem Wege vor mich hinmarschierte. Wie unbedeutend und gering empfand ich plötzlich meine Anstrengungen gegenüber denjenigen meiner Großmutter. Ich hatte keine zwei, sicherlich häufig quengelnden Kinder an der Hand, musste vor niemanden auf der Hut sein, musste keine Angst um mein tägliches Brot und meine Schlafstatt haben und hatte vor allen Dingen die Gewissheit, auch im Falle eines Scheiterns meines Unterfangens in die heimische Geborgenheit zurück kehren zu können. Was zählen dagegen noch die Schwielen und die Wundschürfungen an meinen Füßen, musste ich mich fragen, als ich mich an einem landschaftlich hübschen Platze zur Rast niederließ.
In Hornillos del Camino rief mir einer der auf dem Camino zahlreich anzutreffenden Wandertouristen lächelnd und auf meinen Hut zeigend zu: „Texaner? Mit dem Hut!“ Worauf mir nichts Besseres einfiel als: „Nicht ganz! Nur genauso freiheitsstrebend!“
Zwischen Steinhaufen, Feldern, Weiden, vereinzelten Baumgruppen und nichts Weiterem in Sicht setzte ich meinen Weg zum heutigen Etappenziel Hontanas völlig einsam, nur den Geräuschen der Natur lauschend trotz gelegentlich leichtem Nieselregen fort. An der Quelle von San Bol führte ein Westfale eine laut meinem Reiseführer originelle Herberge. Die Originalität bestand wohl darin, dass zum Waschen lediglich ein Trog mit Quellanschluss im Freien vorhanden war, dafür aber man auf Toiletten verzichten musste. In einem allerdings behielt mein Reiseführer Recht, man konnte hier die Ruhe und Einsamkeit der nordkastilischen Hochebene vortrefflich genießen.
Nachdem ich eine Coke beim Udo aus Westfalen getrunken hatte, marschierte ich flott nach Hontanas, um mein für heute vorgenommenes Streckenpensum von 21 km einhalten zu können. In der Herberge wurde mir erstmals die Möglichkeit, warm zu Abend zu essen, angeboten, was ich ohne zu überlegen annahm. Zum Preis von € 7,00 erhielt man eine sehr schmackhafte Suppe, mit Knoblauch und Gewürzen deliziös gebratenem Schinken mit zwei Spiegeleiern sowie Salat und einem gezuckerten sauren Joghurt. Inklusive waren ein Glas Rotwein sowie Brot. Trotz meinen Spanischunkenntnissen war die Atmosphäre zu Tische mit seinen zehn Personen sehr harmonisch, um nicht zu sagen freundschaftlich. Weil ich mich an dem in Spanisch geführten Tischgespräch nicht beteiligte sondern nur nichts sagend lächelte, fragte mich die mir gegenüber sitzende, hübsche Spanierin, woher ich denn komme. Sofort
Weitere Kostenlose Bücher