Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
essen untersagt, so dass ich leicht enttäuscht zur nächsten örtlichen Herberge weiter zu ziehen gehalten war, wo ich problemlos Unterkommen konnte.
Obgleich ich schon einige Zeit an meinem Tagesbericht schrieb, wollte die Zeit einfach nicht vergehen. Hätte ich es vielleicht doch wagen sollen? Nein, ich hätte nicht! Denn just in diesem Augenblick schob sich eine Hand in mein auf mein Reisetagebuch gerichtetes Blickfeld zum Gruße. Sie gehörte dem in Saint-Jean-Pied de Port erstmals kennen gelernten Herrn aus Luxemburg. Zur gebührenden Feier unseres Wiedersehens lud er mich zu einem frisch gezapften, kühlen Bier ein, das ich gerne annahm. Hierbei erzählte er mir von seinem Erlebnis mit dem äußerst resoluten Herbergsvater Resti, der vor Bettenbelegung zuerst alle vor seiner Herberge in Castrojeriz zum Appell antreten ließ und den Angetretenen barsch eingeschärft habe, dass alle pünktlich zu einer von ihm vorgegebenen Stunde im Bett zu liegen und keine Minute früher oder später als von ihm bestimmt aufzustehen haben. Auch ich hatte dieses in meinem Reiseführer angepriesene Event gelesen, allerdings vorsorglich wegen meiner Bundeswehrerfahrung davon abgesehen, mich freiwillig nochmals einem derartigen Drill zu unterziehen. Möglicherweise wäre es zum Eklat gekommen, falls ich wie seinerzeit einmal bei der Bundeswehr reagiert hätte. Damals hatte ich mich im Halbschlaf nach dem Weckruf in meinem oberen Stockbett aufgesetzt, angeblich die Füße von der Bettkante herabbaumeln lassen und lapidar hierzu angemerkt: „Lass ihn schwätzä!“ Mit der Folge, dass ich mich wieder hingelegt und weitergeratzt hatte, ohne mich jedoch hernach hieran erinnern gekonnt zu haben.
Obwohl wir uns schon oft nett unterhalten hatten, waren wir uns namensmäßig nach wie vor unbekannt. Was bedeuten auf dem Camino auch schon Namen, wenn man sich doch auch so gut versteht und bei jedem Treffen davon auszugehen hat, dass dieses das letzte Mal sein könnte. Man trifft sich, um hernach gleich wieder auseinander zu gehen. Wie mir dieser Herr mitteilte, könne er den Weg mit seinen beiden Zufallsbekanntschaften nicht länger gemeinsam gehen. In Burgos hätten sie sich getrennt, da die beiden anderen nämlich der Franco-Kanadier und der Franzose schon vor deren Reiseantritt nur bis Burgos zu wandern beabsichtigt hatten. Nunmehr müsse er alleine weiter ziehen. Worauf ich sogleich bemerkte, dass man dafür aber auch sein eigener Herr sei. Schon des Öfteren hatte ich ihn darauf hingewiesen, dass ich Rückenprobleme habe und daher aber auch um meine Kräfte zu schonen, meine Tagesetappen in Teiletappen mit einer jeweils anschließenden längeren Pause untergliedere und deshalb selbst auf die Gefahr hin, abgewiesen zu werden, erst sehr spät die Herbergen ansteuern kann. Mit dieser Wanderstrategie war ich seither sehr gut gefahren, wofür er auch immer wieder Verständnis zeigte.
Seine beiläufige Bemerkung, wonach wir uns lt. seinem französischsprachigen Reiseführer dem Ende der von Pilgern schon seit jeher gefürchteten Meseta nähern würden, versetzte mich in ungläubiges Erstaunen. Wurde in den von mir daheim gelesenen Reiseschilderungen über den Jakobsweg nicht immer von einer an einem Tage nicht zu bewältigenden, baum-, Strauch-, wasser- und vor allem herbergslosen Wegstrecke in einer unbesiedelten Landschaft gesprochen? Die seitherigen und auch die nächsten Wegstrecken waren bzw. werden lt. meinem Reiseführer immer bequem zu bewältigen sein. Trotz meiner Skepsis fand ich den Gedanken bezaubernd, diese auch von mir gefürchtete Durststrecke unbewusst mühelos überstanden zu haben. Zur Abendessenszeit trennten wir uns wieder mit einem ehrlich gemeinten „Auf Wiedersehen“. Er begab sich in eines der zahlreichen Restaurants, während ich mich schon lange zuvor selbst verpflegt hatte.
Kaum war der Luxemburger verabschiedet, erschien die gestern wieder getroffene Schwäbin in Begleitung eines lustigen und redseligen, älteren Herrn mit seiner Dame. Nach einer kurzen freudigen Begrüßung und einem gegenseitigen Frotzeln setzten sie sich zu mir und unterhielten sich über die Möglichkeiten, eine Teilstrecke des Caminos mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen. Die scherzhafte Fragestellung, ob der Heilige Jakobus dieses tolerieren könne, beantwortete der nicht aufs Maul gefallene Herr unter schallendem Gelächter damit, dass er in Santiago de Compostela die nicht erwanderte Strecke von Bar zu Bar nachholen und
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