Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
französisch-sprachigen Schweiz stammte, und Christian, ein Münchener, schwärmten von Tomás, dem Deutschen, der die Notherberge in der Einsamkeit von Manjarín in der Tradition eines Templerordensritters aufopfernd führte und seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf kleiner Handarbeiten z.B. kleiner, hölzerner Umhängekreuze bestritt. Ihre Frage, ob ich denn nicht auch bei diesem wundervollen Menschen auf ein Hallo vorbeigeschaut hätte, war mir ein wenig peinlich, zumal mir plötzlich der uralte Spruch durch den Kopf schoss: „Fluchen und Saufen wie ein Templer!“ Christian meinte, Tomás habe auf ihn nicht wie ein ausgeflippter Phantast sondern wie ein von Gott Berufener gewirkt, der in der Tradition des einstigen Templerordens den Pilgern seine Hilfe uneigennützig anbiete und dieses als seine Lebensbestimmung ansehe.
Zu denken gab mir Katrins Auffassung, wonach man den Jakobsweg mit einem offenen Herzen begehen müsse, um überhaupt die Tragweite der Jakobspilgerschaft, zu der auch die entlang des Weges lebenden Menschen mit ihrer Religiosität und Kultur gehören, begreifen und verstehen zu können. Jegliche diesbezügliche Vergeistigung bedinge letztendlich nur einen sinn- und inhaltslosen Durchmarsch des Jakobsweges. ,Die Worte vernehme ich wohl, allein mir fehlt der Glaube’, wollte ich hierzu anmerken, verkniff mir allerdings diese Äußerung. Für mich persönlich kann das Eine nicht ohne das Andere Bestand haben. Erst eine ausgewogene Mischung beider Elemente führt nach meinem Dafürhalten zu einer tiefen Verinnerlichung und möglicherweise auch zu einer Veränderung des Charakters. Weshalb sollte die Lebensweise von gesellschaftlichen Aussteigern erstrebenswerter als diejenige unserer heutigen Zeit sein?
Ohne hierüber weiter nachzudenken begab ich mich hinaus auf den Weg zu meinem heute anvisierten Etappenziel, der Hauptstadt der spanischen Region Bierzo namens Ponferrada. Ein schmaler Bergpfad führte lange Zeit entlang eines mit hohen Pappeln und anderen großen Bäumen, blühenden Hecken, Blumen und Gräsern bewachsenen Bergtals hinab zur Ortschaft Molinaseca. Die gegenüber gestern noch schönere Berglandschaft konnte ich photographisch leider nicht festhalten, da mir mein Film ausgegangen war.
In Molinaseca kaufte ich mir einen Neuen und hielt Mittagsrast. Brot, Käse, Äpfel und Orangen kaufte ich gleichfalls vor Ort. Die Mittagssonne war derart bollestechend (äußerst stechend) gewesen, dass ich es nicht wagte, meinen Weg um die Mittagszeit fortzusetzen. So dehnte ich eben meine Rast weiter aus. Zum ersten Male verspürte ich eine leichte Sehnsucht, Santiago de Compostela endlich zu erreichen. Ponferrada liegt nur noch ca. 200 km vom Orte meiner Sehnsucht entfernt, so dass die täglich geringer werdende Entfernung langsam immer überschaubarer werden dürfte. Die Entfernung nach Santiago de Compostela war für mich seither immer ein räumlich unfassbarer und damit abstrakter Begriff. Wer beurteilt derartige Distanzen schon nach seiner Gehzeit? Unser Maßstab für große Entfernungen wird bestimmt durch das Auto, den Bus bzw. Zug oder durch das Flugzeug. Nur hierdurch können wir die Weite großer Strecken empfinden und abschätzen. Unsere persönliche Gehleistung ist hierbei immer ohne Bedeutung.
Bedeutungslos waren für mich auch die verwunderten Blicke der bereits in der örtlichen Herberge Eingekehrten, als ich mit einem kräftigen „Hallo“ an ihnen vorüber schritt. „Sollen wir Ihren Rucksack mitnehmen“, fragte mich einer der wieder öfters anzutreffenden Billigrucksacktouristen, der gerade mit einer Frau aus der Herberge herausgekommen und in ein Auto mit Sigmaringer Kennzeichen einzusteigen im Begriff war. „Nein, nein, Danke!“ antwortete ich und fügte hinzu: „Selbst ist der Mann!“
Von segelnden Störchen am strahlend blauen Himmel begleitet und unter dem Geklapper Nistender führte mein Weg durch die wunderbar hügelig-bergige Natur. In Ponferrada suchte ich sogleich die örtliche Herberge auf. Obgleich mein heutiges Tagespensum lediglich 13 km betrug, traf ich dennoch erst um ca. 20.00 Uhr in der Herberge ein. Kaum hatte ich den Hofbereich betreten, kamen sogleich vorbesagter Herr mit Dame freudestrahlend auf mich zu, begrüßten mich und managten alles Übrige. Wie sich herausstellte, sind die beiden Freiwillige bei der Herbergsverwaltung, sogenannte Hostalero bzw. Hostalera. Über den Deutschen Jakobsverein hätten sie sich ehrenamtlich hierzu bei der
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