Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
Buben hatte ich sogleich das Gefühl, dass er gerne baden würde, sich dieses aus welchen Gründen auch immer jedoch nicht getraute. Daher sprach ich ihn auf Englisch an und wies ihn darauf hin, dass dieses das letzte Flussstrandbad laut meinem Reiseführer sei, ich selbst jedenfalls die Bademöglichkeit wahrnehmen werde und nicht wisse, ob ein Nacktbaden polizeilich erlaubt sei bzw. von der hiesigen Polizei geahndet werde, falls man keine Badesachen dabei habe. Seine Begleiterin schien ihn in einer mir unbekannten Sprache zum Baden zu ermuntern. Gerne hätte ich mit den beiden notfalls auch nackt im Flusse geplanscht und herum gealbert. Meiner Badehose hätte ich mich hierzu entledigt, falls dieses gewünscht worden wäre. Wäre ein bloßes Nacktbaden ohne anschließendes Nacktsonnen in den Augen der Einheimischen tatsächlich anstößig bzw. unsittlich gewesen? Ich glaube nicht! Ob die beiden im Fluss gebadet haben, werde ich niemals erfahren. Seine Unentschlossenheit hatte mich jedenfalls veranlasst, zurück zur Ortschaft zu gehen, um dort meinen Tageszwischenbericht an einem schattigen Plätzle zu verfassen.
Nach der Siesta, die üblicherweise von 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr andauert, wagte ich mich in die arschkalten Fluten des Flusses zu stürzen. Trotz der lediglich ca. 70 cm Wassertiefe und dem äußerst unebenen steinigen Flussbett konnte ich mich wie die anderen köstlich amüsieren. Dem stand auch nicht entgegen, dass ein freies und unbehindertes Schwimmen unmöglich gewesen war und ich von den Mitbadenden niemanden kannte. Ich war schon so anspruchslos geworden, dass für mich einzig wichtig war, in Gemeinschaft mit den anderen, die ebenfalls die nachmittägliche Sonne der mittäglichen vorgezogen hatten, sich am erfrischenden Nass des klaren Flusses zu erfreuen.
Nach dem Duschen zog ich meine hübschesten Kleider an und begab mich zum Abendessen. Auf meinem Weg dorthin zeigte eine elektronische Standanzeige 20.50 Uhr und von mir überraschend als angenehm empfundene 34°C an. Ich hatte mich ausgezeichnet akklimatisiert. Eine kleine Taverne offerierte Hamburger. Meiner Weinbestellung wurde in einem halben Liter Bierhumpen entsprochen, der mir unsanft auf den Tisch geknallt wurde. Welch ein Stilbruch? Und das in einer Weinbaugemeinde!
Montag, den 14.06.
Erstmals während meiner Pilgerschaft hatte ich heute früh einen schweren Kopf. Die gestern über den Tag hinweg genossenen 1,25 l Wein waren eindeutig zu viel gewesen, auch wenn ich dieses gestern nicht gespürt hatte. Hinsichtlich der Ruhe und Entspannung am gestrigen Tage bereute ich nichts. Den Alkohol und die vielen Zigaretten werde ich heute schon herausschwitzen, war meine Einstellung gewesen. So bequem auch ein Hostalaufenthalt sein mag, so vermag man dennoch nicht, am nächsten Morgen bei Zeiten aufzubrechen. Es fehlte einfach der Weckdienst durch die frühmorgendliche Unruhe in den Sammelschlafquartieren der Pilgerherbergen und der sanfte Druck zur zeitigen Herbergsräumung. Trotz meinem schlechten Gewissen, aus Zeitmangel auch heute keine angemessene Wegstrecke zurücklegen zu können, setzte ich mich erst einmal zum Frühstücken in eine Bar. Am Mittag konnte ich mich endlich aufraffen, die Mühen des Weges wieder auf mich zu nehmen. Einerseits wollte ich weiter faulenzen, andererseits aber auch baldmöglichst in Santiago de Compostela zu Fuß ankommen. Welch eine Tragik? Nun ja, der Weg wird mir sicherlich noch weitere hübsche Orte bescheren, die zum Verweilen einladen könnten, so dass ich mir mit einem Weiterzug nichts vergebe.
Der Weg war von Anfang an bezaubernd. An der romanischen, unscheinbaren Jakobskirche vorbei, in der diejenigen Pilger ausnahmsweise einen Jubiläumssündenablass gleich demjenigen in Santiago de Compostela bekommen konnten, die von schwerer tödlicher Krankheit gezeichnet hier ihre Reise nach Santiago de Compostela abbrechen mussten, führte der Weg hinab in die Ortschaft Villafranca del Bierzo. Trutzig erhob sich die Burg der Ortschaft vor meinen Augen und bezeugte mir die einstige Bedeutung Villafrancas. Nach Verzehr einer Salatplatte, einem Eis am Stiel und vier Coca-Colas setzte ich meinen Weg spätnachmittags fort. Weder sollte mein erbärmlicher Tagesschnitt von 10 km in der letzter Woche unterboten noch meine Bummelei seit Astorga fortgesetzt werden. Ich musste hinsichtlich meiner Wanderei wieder Tritt fassen, wollte ich ein Misslingen meiner Pilgerschaft auch weiterhin soweit möglich ausschließen
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