Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
dieser Dampflok spielen und sie mitreißen werde, so dass es ihr leichter fallen müsste, die gesamte Strecke von Saint-Jean-Pied de Port bis Compostela in der ihr zur Verfügung stehenden Zeit en bloc durchzuwandern. Wahrscheinlich ohne sich seiner ungebührenden, ja sogar unverschämten Äußerung bewußt zu sein, hatte sich das Nordlicht doch tatsächlich erdreistet, mir anzubieten, ob ich seine Begleiterin denn nicht übernehmen wolle. „Ich verstehe Dich ja überhaupt nicht“, war sein Kommentar zum lustigen, steiermärkischen Geplapper. „Oh, nein danke“, entgegnete ich lachend: „Ich bräuchte Rollerskates, um ihr hinterher zu kommen!“
Lauthals auflachen musste ich, als das Nordlicht der Österreicherin deren „Outdoor-Reiseführer“ zur Hand nahm, der sich in einem tadellosen, um nicht zu sagen neuwertigen Zustand befand. „Na, Dein Reiseführer war wohl nicht oft in Gebrauch?!“, stellte ich lakonisch fest und zeigte den beiden mein geschundenes Exemplar.
Nach einem Salatteller gab’s eine Paella und hernach ein Eis. Zum Hinunterspülen wurde frisch gepresster Orangensaft getrunken. Hernach verabschiedete ich die zwei mit dem Spruch: „Grüßt mir Santiago und sagt ihm, er möge die Streckenposten noch nicht einziehen. Es kommt noch einer.“
Da erst um 15.00 Uhr die von mir vor Ort gewählte Herberge öffnete, konnte ich auch den Nachmittag geruhsam angehen. Während unserer Unterhaltung war mir bewusst geworden, dass ich meinen zeitlosen Wanderstil aller Voraussicht nach noch für etwa eine Woche beibehalten werden könne. Danach dürfte auch für mich die Zeit einer Tagesresttourenplanung sowie deren täglichen Kontrollen anbrechen, um hierdurch einen Erfolg meiner Pilgerschaft bereits im Vorfeld soweit wie möglich gewährleisten zu können. Denn auch meine Zeit zum Pilgern war beschränkt.
Zurück in der Gegenwart wollte ich meine Schlafstatt im „Refugio Gaucelmo“, einer lt. meinem Reiseführer angepriesenen, auf Initiative der englischen Jakobs-Vereinigung restaurierten, von dieser unterhaltenen und bewirtschafteten Pilgerherberge mit Sanitäranlagen und einem wunderschönen Innenhof, beziehen. Auf meiner Suche dahin sagte mir ein Spanier, dass es ein „Refugio Gaucelmo“ nicht gebe jedoch u.a. eine „Albergue del Pilar“. Den Innenhof dieser fabelhaft baulich unterhaltenen Herberge betrat ich über ein Durchhaus. Was ich zu sehen bekam, verschlug mir die Sprache. Der Innenhof war mit einer überdachten, bewirtschafteten Freibar, Freisitzen, Blumen und vielen Topfgrünpflanzen ganz den touristischen Ansprüchen unserer Zeit angepasst ausgestattet. Aus den Lautsprechern erschallte flotte Urlaubsmusik. Neben bunten Wimpeln hatte man sogar eine etwas größere Flagge Bayerns gut sichtbar aufgehängt. Da der Waschtrog für die Bargäste gut sichtbar sich im Innenhof befand und ich mich schämte, vor all den Gästen meine stinkige Wäsche zu waschen, schob ich dieses bis morgen Abend auf.
Zur angemessenen Würdigung des von mir ersehnten, spirituellen Ereignisses aber auch um für die Urlaubsclubstimmung angemessen gekleidet zu sein, holte ich meine besten Kleider hervor. Bei einem Gläsle Bier an der Freibar verfasste ich einen weiteren Tageszwischenbericht. Meine noch leichten Zweifel, ob meine heutige Tagesgestaltung auch tatsächlich meinem Wunsche entsprach, waren verflogen. Wie schnell ich doch fähig war, von der gestrigen, ärmlich urbäuerlichen Stimmung übergangslos ohne Reue in diese clubhaft Überschwängliche zu wechseln, ohne dabei das Verlangen verspürt gehabt zu haben, den Rest meiner Reise nur noch in diesem sehr angenehmen, luxuriösen Stile zurück legen zu wollen. Womöglich hatte ich es bereits zuhause zu sehr verinnerlicht, dass meine Pilgerschaft von Entbehrungen und Ärmlichkeit geprägt sein sollte und müsste.
Von Armut zeugte auch der nicht überreichlich große Innenraum der Kirche Rabanal del Camino. Die zum Teil unverputzten, natursteinernen, schmucklosen und felsenkellerartigen Kircheninnenwände waren von einem durchgehenden gleichfalls schmucklosen Rundbogengewölbe überspannt. Im Altarraum befand sich ein schlichtes Kreuz mit Corpus sowie zwei gegenseitenwandig angebrachte, kleine Chorgestühle. Die Innenbeleuchtung nebst Kabeln war außerwandig verlegt und erweckte den Eindruck eines Provisoriums. Auch die hölzernen Kirchenbänke waren äußerst spartanisch gehalten. Als einzige Heiligenfigur konnte ich lediglich eine kleine Darstellung
Weitere Kostenlose Bücher