Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
örtlichen Kirchengemeinde, der diese Herberge untersteht, für drei Wochen verpflichtet. Wie schnell doch auch ich mit Negativbewertungen bei der Hand bin? Auf den Gedanken, dass die beiden nur ihre Freizeit zwischen ihren ehrenamtlichen Tätigkeiten am Morgen und Abend verbringen, konnte und wäre ich nie gekommen.
Die nächste Überraschung erlebte ich in der der Herberge unweit gegenüber liegenden Bar, in der ich mir meinen Zigarettennachschub besorgte. Ein kleines Bierchen am Abend, erquickend und labend, dachte ich mir. Bevor ich mich umsah, stand anstelle des üblichen kleinen Gläsles Bier ein Halbliterhumpen voll des köstlichen Nasses vor mir. ,Gott sei Dank war’s kein Maßhumpen’, dachte ich bei mir, denn die Zeit war knapp bemessen, wollte ich noch vor Schließung der Herberge zurück sein. Für den morgigen Vormittag nahm ich mir vor, Ponferrada anzuschauen, und nachmittags weiter zu ziehen.
Samstag, den 12.06.:
Ein penetranter Bohnerwachsgeruch drang mir in die Nase, als ich die Basilika Nuestra Señora de la Encina betrat. Wie fast bei allen seither gesehenen Kirchen war auch diese Basilika in Ponferrada mit einem Holzboden ausgestattet. Durch das Kirchenschiff drangen Töne eines Harmoniums. Es war derart anrührend, dass ich kniend zu beten begann. Der Hauptaltar war wie schon so oft von einer zentral angeordneten Marienstatue bestimmt. Durch meine Andacht, den Anblick des Altars, die Höhe des Kirchenschiffes aber insbesondere die Harmoniumsmusik lief es mir vor Rührung eiskalt den Rücken hinunter. Ich fühlte mich als Erdengeschöpf in ein himmlisches Ganzes integriert. Willenlos hatte ich mich in diese sphärische Atmosphäre eingebracht. Als der Harmoniumsspieler seine Übungen beendete, bemerkte ich, dass sich einige ältere Frauen in der Basilika eingefunden hatten und Vorbereitungen für eine Messe getroffen wurden.
Nach dem Gottesdienst begab ich mich zur Burg von Ponferrada, die in der Blütezeit der Jakobspilgerschaft vom Templerorden beherrscht wurde. Wie ich zu lesen bekam, hatte dieser mittelalterliche, gegenüber weltlichen Herrschern politisch autonome Mönchsritterorden für Pilger zur Erleichterung deren Pilgerschaft auch eine Art bargeldlosen Zahlungsverkehr angeboten. So konnte europaweit in der einen Ordensniederlassung in beschränktem Umfang eingezahlt und in der anderen wieder abgehoben werden. Wen verwundert es bei dieser Organisations- und Finanzkraft, dass dieses bei den Großen der Welt Neid hervorrief und daher die Tempelordensgemeinschaft nicht auf Dauer Bestand haben konnte.
Beim Entlangschreiten der mächtigen und wuchtigen Burgmauern mit ihren Wehrtürmen verspürte ich ein Gefühl von Sicherheit sicherlich ähnlich demjenigen der mittelalterlichen Pilger. In den damaligen unsicheren Zeiten dürfte der Schutz dieser Burg den Pilgern zumindest zeitweise die Angst um Leib und Leben genommen haben. Wie schon damals musste auch ich den Schutz dieser Mauern aufgeben und mich wieder hinaus nach Santiago de Compostela begeben. Trotz meines späten Aufbruchs und der nächsten 16 km langen, nach meinem Reiseführer unterkunftslosen Strecke war ich über meine Unbekümmertheit verwundert. Auch konnte ich mich nicht mehr entsinnen, ob es während meiner Reise jemals vergleichbare Situationen gegeben hatte. Mir schien, als ob mein in den Tag Hineinleben mein ständig auf Vergleich getrimmtes Erinnerungsvermögen getrübt oder womöglich sogar völlig verdrängt hätte. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, schien nunmehr meine Devise geworden zu sein. War ich furchtlos geworden oder hatte ich nur ein anderes Gott- oder Selbstvertrauen entwickelt?
Jedenfalls saß ich hier, freute mich meines Lebens und sorgte mich nicht um das Künftige, zumal die augenblickliche Wetterlage keinen Anlass zur Sorge gab. Was heute noch kommen wird, war mir Einerlei. Die nicht zu verachtende Uferpromenade am Sil rechtfertigte dieses zweifelsfrei.
An einer Kirche am Rande von Ponferrada machte ich zum Abendessen halt. Da die Kirchenpforte offen stand, begab ich mich hinein und nahm erneut an einem Gottesdienst teil. Der zahlreiche Kirchenbesuch und der Umstand, dass die Kirchengemeinde ohne instrumentale Begleitung auswendig verhältnismäßig oft Lieder sang, überraschten mich, zumal ich noch in keiner einzigen Kirche oder bei Gottesdienstbesuchern Gesangbücher sah. Meistens wurde bei der Hostienausteilung Musik vom Band abgespielt. Nach dem Gottes
dienst sah
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