Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
eingebüßt und war dennoch kein fliegendes Blätterwerk geworden. Dieser Umstand war für mich die logische Konsequenz dessen, dass ich meine Wanderetappen nicht zuhause vorbereitet hatte sondern diese von Tag zu Tag andachte. Sie wurden von Unterkunftsmöglichkeit zu Unterkunftsmöglichkeit täglich vor Ort und nach Lust und Laune festgelegt, wobei der Reiseführer bei Wind und Regen darüber hinaus des Öfteren wegen uneindeutigen bzw. zweifelhaften oder fehlenden Wegmarkierungen mit gelben Pfeilen zu Rate gezogen werden musste. Anzumerken wäre noch, dass während meiner Wanderschaft die richtigen Wegmarkierungen oftmals von den falschen nur durch deren unverkennbar einheitlichen Gelbton zu unterscheiden waren.
Ich schwelgte beim kühlen Bier in einer ungewohnten Seligkeit. Ohne den Tag vor dem Abend loben zu wollen, war dieser Tag gleichgültig, ob ich mein Etappenziel noch heute erreichen sollte, für mich wunderschön. Ob er mir in Erinnerung bleiben wird, wird die Zukunft zeigen, wenn ich mir erlauben kann, über meine Pilgerschaft zu reflektieren. Schon öfters hatte ich ambitionierten Pilgern auf deren Fragen hin abschlägig geantwortet, dass ich ungern über meinen seitherigen Reiseverlauf erzähle, da ich mich noch auf der Pilgerwanderschaft befinde und diese abschließend auch noch nicht kommentieren könne.
Schon zuhause und insbesondere während meiner Wanderschaft hatte ich mir immer gewünscht, wenigstens ein einziges Mal an einem Stierkampf wenn möglich aus Anlass eines Dorffestes live teilnehmen zu können. Wie ich erfahren hatte, würde hierzu der Dorfplatz gesperrt und irgendein drittklassiger Torero entsprechend verpflichtet werden. Langsam erhärtete sich der Verdacht, dass auch dieses ein unerfüllter Wunschtraum bleiben werde. Zumindest entdeckte ich auch heute diesbezüglich keinerlei Prospekte. Hierfür bin ich nach wie vor bereit, selbst einen größeren Umweg in Kauf zu nehmen. So blieb mir nur der Weitermarsch. Was sollte einen Jakobspilger denn auch anderes als die Bequemlichkeit hier an diesem Touristenorte halten?
Die hinter einander geschobenen Bergsilhouetten mit den gelb blühenden Büschen im Vordergrund und den am Firmament kranzartigen, fahlen, zwischen den Wolken heraus tretenden Strahlenbündel der Abendsonne war eine Wucht anzuschauen. Weshalb sollte ich an einem solchen Tage wie diesem durch die wunderschöne Berglandschaft in einem Gewaltmarsch hetzen und mir damit denselben Genuss morgen verwehren, hatte ich mich gefragt, zumal meine Pilgerschaft hierdurch nicht gefährdet wird. Entgegen meiner Absicht kehrte ich bereits in die Herberge der fünf Kilometer vor meinem für heute vorgesehenen Etappenziel liegenden Ortschaft Riego de Ambros ein und gönnte mir anschließend einen russischen Salat, ein Omelett mit Pommes frites und als Nachtisch Eis. Dazu bestellte ich eine 0,5 Literflasche Wein. Heute hatte ich ein Streckenpensum von ca. 21,5 km bewältigt. Bevor ich allerdings das Restaurant verließ, forderte mein Body nach noch mehr Flüssigkeit, wobei mir der Sinn nicht danach stand, meinen Durst mit dem nicht konsumierten restlichen Wein zu stillen, was zweifelsfrei nur zu einem Angeheitertsein geführt hätte. So ließ ich mir im Lokal noch schnell zwei Cokes kredenzen, obgleich es bereits an der Zeit war, zur Herberge zurück zu kehren, um nicht vor verschlossenen Türen stehen zu müssen. Diese Hektik hatte ich nun einmal für eine preisgünstige Unterkunft hinzunehmen. Zum Duschen reichte die Zeit allerdings noch.
Freitag, den 11.06.:
Als ich morgens in die Herbergsküche kam, war dort für vier Personen der Frühstückstisch gedeckt. Die Kaffeekanne in der Kaffeemaschine war viertel voll und auf dem Tisch lag ein halbes Laib Brot nebst Kleingebäck. Da sich in der Herberge nur noch zwei weitere, mir anfangs unbekannte Personen aufhielten und diese keine Anstalten machten, die Herberge wegen der fortgeschrittenen Tageszeit schnell verlassen zu wollen, fragte ich dezent, ob der gedeckte Tisch für uns bestimmt sei. Meine Frage wurde bejaht und ich belehrt, dass im Unterkunftspreis von € 4,50 auch dieses Frühstück mit inbegriffen sei. Im Kühlschrank befanden sich in der Seitenablage für jeden von uns kleine, abgepackte Portionen Butter und Xälz (Konfitüre), ein Einliter Milchpack und andere Lebensmittel. Selbst ein Toaster stand uns zur Verfügung. Wir drei frühstückten genüsslich und unterhielten uns prächtig. Katrin, die aus der
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