Jakobsweg im Smoking
meinen Pilgerpass stempeln und ziehe aufgeregt in die klare Nacht der Meseta, einer Hochebene, die hinter Burgos beginnt.
Pilgern bei Nacht ist anstrengender und weniger lohnend als erwartet: Die Suche nach dem nächsten Pfeil gestaltet sich umständlicher, von der Landschaft ist nichts zu erkennen. Ab und zu quaken ein paar Frösche. Der Weg zieht sich. Irgendwann werde ich sehr, sehr müde.
In der Morgen dämmerung suche ich nach einer Bar in Castrojeriz. Ich möchte frühstücken, doch die Bars sind noch geschlossen. Ein Pilger schenkt mir eine Banane und ein paar Mini-Cup-Cakes, die Vögel beginnen zu singen. Ich laufe weiter, trinke Morgenkaffee in Itero de la Vega.
„Auf diesem Stück entstehen besonders gerne Fuß blasen“, warnt der Reiseführer.
Der passende Abschluss für diese Etappe.
Wenn ich dann noch keine Blasen habe, hat meine Ausrüstung den Härtetest definitiv bestanden!
„Ein dänischer Pilger hatte einen sehr feinen Anzug dabei, weil man in Dänemark nur im Anzug in Restaurants hineinkommt“, erzählt mir eine Pilgerin, „den hat er dann für sehr viel Geld per Post nach Hause zurückgeschickt.“
Jakobsweg im Smoking .
Sie ist Wirt schaftsinformatikerin und läuft in gemütlichen, weißen Sportschuhen.
„Das ist viel besser als diese unbequemen Wander stiefel. Ich hatte auch zu viel Gepäck dabei“, fährt sie fort, „Einige Sachen habe ich einfach weggeworfen. Man muss das Kreuzprodukt bilden: Regenjacke plus Pullover ist zum Beispiel das Gleiche wie eine Winterjacke.“
In Boadilla del Camino trinke ich ein San Miguel und bin für heute angekommen. Knapp 30 Stunden war ich unterwegs. 106 km.
Erzengel Michael steckt sein Flammenschwert ein und wünscht mir einen geruhsamen Schlaf.
Während sich mein Körper erholt, trocknet meine Wä sche sanft schaukelnd im Hof. Frisch geduscht genieße ich am späten Nachmittag die Sonne in sauber duftender Kleidung.
D ie Herbergsmutter benutzte ihr eigenes Waschmittel. Damit ich das Rei in der Tube nicht völlig umsonst mitgenommen habe, wasche ich damit von Hand die Kleidung, die ich am Körper trug, während meine Wäsche in der Maschine war.
Die Ausrüstung hat den Härtetest bestanden.
Mit Bravour .
„Ich habe ein Webloch, da kommt alles rein!“, erzählt eine niederländische Pilgerin, Mitte 60, beim Abendessen und strahlt vor Freude.
Ein Webloch?
Ah, ein Weblog! Ich hatte mich verhört.
Viele Pilger bloggen.
Es gibt in fast jeder Herberge gratis WLAN.
Störche und Street Art
Der nächste Morgen beginnt zauberschön: Störche umkreisen anmutig den Turm der Kirche neben der Herberge, der Himmel zeigt sich in blaustem Blau:
Meine Beine laufen heute wie von selbst. Ich genieße die Einsamkeit und Stille. Warum heißen Handschuhe eigentlich nicht Handsocken oder Handstrümpfe?
Ein steter Begleiter auf dem Jakobsweg sind – neben Muscheln und gelben Pfeilen – die von den Pilgern hinterlassenen Ergänzungen auf Straßenschildern:
„Don’t STOP walking!“, steht auf einem Stoppschild.
Ein Überholverbotsschild lächelt freundlich.
„Frage! Was i st das Gegenteil von Grau?“, lese ich auf einem Schild mit einer Kilometerangabe.
Kommt auf das Grau an.
Das Grau der Morgendämmerung gleicht dem Grau der Abenddämmerung und ist doch das genaue Gegenteil: Das Abendgrau kommt, wächst und wird zur Nacht, das Morgengrau geht, schrumpft und verschwindet…
„Buen Camino!“, knurrt der Verkäufer.
Er sitzt in einem kastigen Transporter am Straßenrand hinter der hochgeklappten Seitenwand, hofft darauf, Eis, Getränke, Snacks und Schokoriegel an durstige, hungrige Pilger abzugeben.
Einzig: Es sind keine Pilger da.
Ich bin auf dem 12 km schnurgerade durch die Meseta führenden Teilstück hinter Carrión de los Condes.
Außer mir ist niemand weit und breit zu sehen.
Als ich etwa eine Stunde lang weitergelaufen bin, überholt er mich mit seinem leicht schwankenden Fahrzeug.
Er hat aufgegeben.
Findige Geschäftsleute mit weniger mobilen Verkaufs stellen malen gerne ein paar gelbe Extrapfeile und verlegen den Jakobsweg so, dass die Pilgerströme geschäftsfördernd an der eigenen Bar vorbeifließen:
Als es abends kalt wird, übernachte ich in Ledigos. Bartschere und Nagelknipser haben im Kulturbeutel Rost angesetzt. Ab sofort wohnen beide im trockeneren Technikbeutel.
Morgens pfeift eisiger Wind durch die Landschaft. Frierend ziehe ich nach hundert Metern Regenhose und -jacke als zusätzlichen Windschutz
Weitere Kostenlose Bücher