Jakobsweg im Smoking
weiterziehen, läutet er eine Glocke, strahlt und wünscht:
„Buen Camino! Good life!”
Das mit den vielen Sprachen ist so eine Sache auf dem Camino: Es geht beruhigenderweise fast komplett ohne Fremdsprachenkenntnisse, denn in der Regel ist sowieso klar, was man als Pilger möchte: Essen, Trinken, Schlafplatz. Mit wenigen, fragend gestammelten Worten kommt man sicher bis ans Ziel, z.B.:
„Al bergue?“ – Bedeutung wahlweise: „Hallo, ich suche eine Herberge, in der noch ein Schlafplatz frei ist. Können Sie mir den Weg zeigen?“ Oder: „Guten Tag, ich würde gerne in Ihrer Herberge übernachten. Haben Sie vielleicht noch ein Bett im Schlafsaal frei?“
„Camino?“ – Bedeutung sinngemäß: „Hallo! Ich habe mich leider ein wenig verlaufen und weiß nicht, wo die nächste Wegmarkierung des Jakobswegs zu finden ist. Können Sie mir eventuell weiterhelfen?“
„Aqua?“ – Bedeutung in etwa: „Guten Tag! Gibt es in der Nähe vielleicht eine Bar, einen Supermarkt oder einen Brunnen?“
Es entstehen auf diese Art keine intensiven Gespräche, aber das Bett wird erreicht und der Durst gestillt.
Wer ein paar größere Brocken Spanisch und noch ein wenig mehr Englisch beherrscht, ist klar im Vorteil und kann nicht nur mit Reisenden aus dem eigenen Land kommunizieren, sondern auch Erfahrungen und Geschichten mit den meisten anderen Pilgern austauschen.
„Ah, endlich mal jemand, der Deutsch versteht!“
Ein Pilger in Astorga scheint aufgebracht:
„Sag mal, gibt es ein Buch in dem die ganzen Herbergen gelistet sind?“
„Ja“, antworte ich, leicht verwundert über die Frage. Er scheint mit seiner Frau gerade erst zu starten.
„Bist du verrückt!“, schnauzt er mich an, „das kostet bestimmt wieder 30 oder 40 Euro! Ich habe doch keine 50.000 Euro! Was soll denn das? Wie viel kostet eine Über nachtung normalerweise?“
„Etwa 10 Euro“, entgegne ich und verstehe, dass ich einen Krawallpilger vor mir habe.
„10 Euro? Spinnst du?“, schimpft er, „Ich dachte, das kostet maximal drei oder vier Euro mit Frühstück!“
Ich verabschiede mich.
I mmer wieder gibt es die Engel des Weges: Menschen, die sich wie David um die Pilger kümmern, Menschen, die wie Norman oder der Pilger in Castrojeriz auf wundersame Art genau im richtigen Moment mit einem Edding oder Mini-Cup-Cakes zur Stelle sind.
Den Gegenpol bilden die Krawallpilger : Menschen, die so in Ihrer eigenen Unzufriedenheit gefangen sind, dass sie blind um sich schimpfen. Ihnen kann man meist nicht helfen. Als ich einem Pilger, den ich noch nicht als Krawallpilger erkannt hatte, einen Keks anbot, schrie er mich laut auf Englisch an:
„No! Ich will keinen Keks von dir! Du bist selbst daran schuld! Du hast dir zu viel Proviant gekauft! Das musst Du jetzt schleppen! Jeder muss seine eigenen Sünden tragen!“
Gegen Abend schmerzt mein rechtes Schienbein. Das ist neu. Ich übernachte in El Ganso und lege am nächsten Tag meinen Stein am Cruz de Ferro ab, das unerwartet unspektakulär direkt neben der Straße am Weg steht:
Huch, was ist das? Am rechten Fuß habe ich mir am großen Zeh ein kleines Minibläschen gelaufen. Liegt wohl an der Ersatzsocke, die einen Hauch zu klein zu sein scheint.
Weh tut es nicht.
Von Molinaseca laufe ich tags darauf über Ponferrada nach Trabadelo:
Vor der Templerburg in Ponferrada versuchen etliche Pilger ein Andenkenfoto von sich so zu schießen, dass es wirkt, als seien sie im Mittelalter:
Die Gründe, der Pilger, den Jakobsweg zu gehen, sind sehr verschieden: Manche möchten einfach schöne Fotos, günstig reisen, Party machen oder die körperlichen Heraus forderungen des Weges sportlich meistern. Andere Pilger suchen Frieden, Gesundheit, Erlösung und Einkehr.
Ein Pilger aus den Niederlanden, mit dem ich zusam men zu Abend esse, sagt:
„Hier auf dem Jakobsweg kann ich mit Menschen über essenzielle Themen sprechen, was sonst im Leben eher nicht geschieht.“
„Ich gehe den Weg als Dankgebet für mein bisheriges gutes Leben“, erklärt eine Pilgerin aus Dresden, die mit uns am Tisch sitzt.
Mein rechtes Schienbein schmerzte heute wieder. Am nächsten Morgen geht gar nichts mehr. Der Weg ist für mich zu Ende. Meine Beine wollen nicht mehr laufen. Ich sitze auf einer Bank in der Sonne.
Was nun?
Pilger laufen an mir vorbei.
„Buen Camino!“
Da ich mir selbst versprochen habe, die Signale und Grenzen meines Körpers zu achten, kann ich nicht weiter.
Mein rechtes Schienbein?
Mit allem
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