Jakobsweg im Smoking
hatte ich gerechnet: Blasen, Schulterbeschwerden, Knieproblemen… Noch nie in meinem Leben hatte ich Schienbeinschmerzen.
Ich denke vertrauensvoll an die wundersame Medaille .
Was, wenn die Ersatzsocke vielleicht nicht nur für die kleine Blase am Zeh verantwortlich ist?
Was, wenn die Ersatzsocke auch insgesamt einen leicht veränderten Bewegungsablauf provoziert, der zu einer Fehlbelastung und den Schmerzen im Schienbein führt?
Ich wechsele zurück zur grauen Socke mit Loch.
Schon nach ein paar Probeschritten merke ich: Tatsächlich!
Da ist etwas anders. Gut anders.
Was ist das Gegenteil von Schmerz der zunimmt?
Schmerz, der geht!
Die Schmerzen sind zwar noch da, aber sie werden mit jedem Schritt ein winziges Bisschen kleiner.
Das wird sich verlaufen.
In O Cebreiro, zünde ich ein paar Dankeskerzen an, bewundere den Kelch, in dem während einer Messe Wein zu Blut wurde und pilgere – Trekkingstöcke beim Abstieg auf 1,45 m – weiter bis Triacastela.
In ein er Pause, in der ich Schuhe und Socken ausziehe, sticht mir eine Mücke in den Fuß.
Auf den folgenden Kilometern baut mein Körper eine Blase über die kleine Schwellung der Einstichstelle. Trotz zwei paar Socken.
Das ist doch absurd.
Es wird Zeit, dass ich ankomme.
Sonne und Santiago
Von Triacastela bis Gonzar begleitet mich bestes Wanderwetter: Es ist frisch, wolkenverhangen und etwas windig.
„Letztes Jahr hat es um diese Zeit eine ganze Woche durchgeregnet und wir standen knöcheltief im Schlamm“, erinnert sich eine 84-jährige Pilgerin. Seit 10 Jahren geht s i e jedes Jahr ein anderes Stück des Weges:
„Am liebste n bergab!“
Sie trägt nur einen winzigen Tagesrucksack. Ihren großen Rucksack lässt sie von Herberge zu Herberge transportieren – ein Service, den mittlerweile die meisten Herbergen anbieten.
Zwei junge, deutsche Pilgerinnen überholen uns. Sie sind 18 und 20 Jahre alt:
„Wir haben gerade Abi gemacht!“
Ihre Rucksäcke sind riesig.
„Ach“, lachen sie, „die waren noch viel größer! Wir ha ben schon für über 100 Euro Sachen nach Hause geschickt. Ist auch alles gut angekommen.“
In Palas del Rei beginnt es zu regnen. Ich ziehe Regenjacke und Regenhose über T-Shirt und kurze Hose, stülpe Gefriertüten über die Handschuhe. Alle Kleidung ist trocken im Rucksackliner.
Ein Schauer.
Bei Melinde kommt Regenschauer Nr. 2.
Dann Nr. 3.
Schauer Nr. 4 ist zur Abwechslung ein H agelschauer.
Nr . 5, 6 und 7 sind wieder ohne Hagel.
Am nächsten Tag ist mein rechtes Schienbein wieder vollkommen schmerzfrei: Leichten Schrittes schwebe ich bei Sonne in kurzer Hose durch Eukalyptuswälder…
Am Monte do Gozo stelle ich fest: Alle vier Socken sind jetzt durchgelaufen.
Egal. Es sind nur noch fünf Kilometer.
Bei strahlendem Sonnenschein erreiche ich das Ziel, das Grab des Apostels:
Ich übernachte in einer Herberge in der Nähe der Kathedrale. Es gibt eine Steckdose neben jedem Bett und geräumige Duschen mit Hintergrundmusik.
Herrlich!
Wie in fast allen Herbergen unterwegs gibt es auch hier kostenlos Bettdecken und WLAN. WLAN heißt in Spanien WiFi. WiFi gab es nicht nur in fast allen Herbergen, sondern auch kostenlos in sehr vielen Cafés, Bars und Restaurants am Jakobsweg. Wer kein internetfähiges Gerät bei sich trägt, kann in vielen Herbergen gegen Gebühr an Computern ins Internet.
Für WiFi, Wasser, Essen, Strom und Wegmarkierungen ist wirklich gut gesorgt. Es wäre auch möglich, ganz ohne Reiseführer zu gehen. Die gelben Pfeile und Muscheln sind so zahlreich, dass man kaum verloren gehen kann – es sei denn, der Besitzer einer abgelegenen Bar hat mal wieder heimlich ein paar Extrapfeile gemalt…
3. Abreise
Gemütlich flaniere ich durch Santiago de Compostela, kaufe Postkarten und neue Socken, bewundere die Kathedrale, wiege mich in einer Apotheke…
„88,5 kg“ schnarrt die alte, analoge Waage.
Hoppla.
6,5 kg abgenommen.
Von Santiago de Compostela fliege ich über Basel zurück nach Berlin.
Es dauert ein paar Tage, bis ich wieder ganz angekommen bin: Ich wandere zum Abtrainieren ums Tempelhofer Flugfeld, esse Pastéis de Nata und Ceviche beim Street Food Thursday in der Markthalle Neun, gehe ins Kino, genieße den Frühling und die Sonne, sitze mit einer alten Freundin auf der Admiralbrücke…
Als ich für das gehobene Samstagabendgefühl zum Brandenburger Tor schlendere, tummelt sich dort gerade eine Horde Cheerleader, die Figuren bauen, Fotos machen und sich gegenseitig
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