Jakobsweg im Smoking
über, schirme mein Gesicht bis über die Nase mit der Alumatte ab.
Die Klettl verschlüsse an den Beinen der Regenhose flappen beim Anziehen oft unbeabsichtigt zu, so dass sich die Hose nicht weiter überziehen lässt. In der Mittagspause schneide ich die Klettlaschen ab.
So ist es besser.
Mir begegnet ein fröhlicher Rheinländer:
„Ich bin den Weg schon einmal vor 8 Jahren gegangen“, sagt er, „seitdem ist alles viel besser geworden: Es gibt bessere Markierungen, bessere Herbergen…“
Damals habe er einen Holländer kennengelernt, mit dem er auch diesmal unterwegs gewesen sei.
„Leider hat sein Knie schlapp gemacht und er musste vorzeitig abbrechen. Schade ist das!“
Immer wieder ragten in den letzten Tagen die Überreste zerbrochener Trekkingstöcke aus Mülleimern.
So auch heute.
Ich freue mich über die robuste Qualität meiner Lekis und übernachte in Sahagún.
„Ich habe schon für 75 Euro Sachen nach Hause geschickt“, gesteht eine Pilgerin aus San Francisco beim Abendessen, „Meine viel zu schweren Wanderschuhe, meinen GPS-Tracker mit Extramonitor, das Solarladegerät…“
Sie kichert und trinkt einen Schluck Wein.
Minusgrade und Materialermüdung
Starttemperatur am Morgen: -1 °C. Routiniert trage ich alle Kleidung, die mir zur Verfügung steht.
Mittlerweile hat sich so eine Art Tagesrhythmus entwickelt: Morgens aufstehen, ein paar Kilometer pilgern, dann in einer kleinen Bar einen Café con leche und eine Kleinigkeit frühstücken. Mittags gibt es am Wegesrand ein Bocadillo oder Tortilla. Gegen Abend kommt die Herbergswahl, eine Dusche, Pilgermenü, schlafen.
Anscheinend nehme ich ab: Jeden Tag lässt sich der Hüftgurt des Rucksacks weiter zuziehen. Eine Icebreaker-Socke hat ein riesiges Loch an der Ferse.
Mittagspause in einer Bar in El Burgo. Am Nebentisch hat eine deutsche Pilgerin ihr Bein hochgelegt:
„R echtes Knie und linker Fuß machen Beschwerden“, erklärt sie, „In Pamplona habe ich meine Wintersachen weggeworfen und für 63 Euro Ausrüstung nach Hause geschickt. Aus Versehen leider auch das Handyladekabel.“
Übernachtung in Puente Villarente. Reimt sich.
Als Ersatz für die graue Socke mit Loch trage ich ab heute eine weiße Icebreaker Socke am rechten Fuß unter der anderen grauen Socke, die aktuell noch heile ist.
In Leon erzählt ein Pilger, wie er zu der rotblauen Frostbeule am Ringfinger kam:
„Ach, bei mir hat es ja so viel geschneit am Anfang in den Pyrenäen und ich hatte keine Handschuhe dabei…“
Er hebt ratlos die Hände.
„Irgendwie sind da meine Finger zu kalt geworden und seitdem ist das da nicht mehr weggegangen.“
Vorbei an der mächtigen Kathedrale von León pilgere ich wei ter bis Hospital de Órbigo, schlafe in der wunderschönen Albergue Verde: Es gibt eine Regenwalddusche und morgens wird kostenlos Yoga angeboten.
Café con leche im Paradies
Eine Frau aus Deutschland läuft mit kaputtem Knie langsam neben mir. Sie hält einen kleinen Monolog:
„Ich würde alles anders machen, wenn ich noch einmal starten könnte. Nicht so viel Gepäck, nicht so übertrieben weit laufen am Anfang. Nach dem ersten Tag war mein Knie schon kaputt. Da habe ich auch noch keine Stöcke gehabt. Dafür aber noch viel mehr Gepäck. Ich habe schon Sachen nach Hause geschickt: Wintersachen, mein Regenzeug usw. – regnen wird es ja wohl nicht mehr. Aber der Rucksack ist immer noch zu voll. Vielleicht schicke ich heute Abend noch einmal Sachen weg. Aber das ist ja dann auch wieder so teuer. Ich würde alles anders machen, wenn ich noch einmal neu starten könnte…“
Ich verabschiede mich.
„Welcome in paradise!“
Ein Mann steht winkend am Weg.
Neben ihm ein vorsintflutlicher Holzofen, auf dem er Wasser kocht. Er heißt David. Wir sind mitten im Nirgendwo, zwischen Hospital de Órbigo und Astorga.
„ Is not illusion, is real! Is no shop! This is place for peregrinos!“
Neben seinem Holzofen stehen zwei überdachte Sofas, auf der anderen Seite eine Auslage mit Kaf fee, Tee, Säften und Leckereien:
„It’s all organic here!“
Se it über drei Jahren lebt David am Wegesrand im Nirgendo und versorgt Pilger.
Ich trinke einen Kaffee mit H aselnussmilch.
Fantastisch.
Dann ein Brot mit Tahin.
David hat hier weder Wasser- noch Stromanschl uss, doch seine Augen leuchten:
„Is very simple here.“
Er kümmert sich liebevoll, winkt Neuankömmlingen zu, ruft freundliche Brocken Englisch, Spanisch, Französisch. Wenn Pilger
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