Jamaica Lane - Heimliche Liebe
und ihre hübschen blauen Augen wurden groß vor Neugier. »Aber das Wichtigste ist, dass sie mit jemandem reden kann – auch wenn ich nicht dieser Jemand bin.«
Ich zog nachdenklich die Brauen zusammen. »Und warum bist du es nicht?«
»Ich glaube, sie denkt, dass ich mich zu sehr in die Sache reinsteigern würde und ihr dann keinen objektiven Rat mehr geben könnte. Hannah ist viel realistischer als ich. Ich glaube, wenn es um Jungs geht, redet sie lieber mit Jo. Jo hat eine pragmatische Haltung gegenüber solchen Sachen, und ich lasse mich manchmal zu schnell von meiner Begeisterung mitreißen. Ich meine: Meine kleine Schwester, zum ersten Mal verliebt – das ist doch ein Riesending.«
»Du platzt ja fast vor Neugier.«
»Was denkst du denn? Es bringt mich schier um.«
»Essen!«, rief Elodie Nichols aus dem Esszimmer, und wir alle sprangen auf, als hätten wir tagelang gehungert.
Wir drängten uns ins Esszimmer und atmeten das Aroma selbstgekochten Essens ein. Erst drei Monate zuvor hatten Elodie und Clark sich einen größeren Esstisch angeschafft, weil die Sonntagsessen, seit Joss in ihr Leben getreten war, immer weiter ausuferten.
»Läuft es gut auf der Arbeit?«, erkundigte sich Dad bei mir, als wir uns nebeneinander an den Tisch setzten.
»Mmm-hmm«, antwortete ich vage, während ich die Schüssel mit Kartoffelbrei in den Händen hielt, als sei sie aus purem Gold.
Dad schnaubte. »Du hast Sabber am Kinn.«
»Stimmt gar nicht.« Ich klatschte mir vergnügt eine Portion Kartoffelbrei auf den Teller, reichte die Schüssel an ihn weiter und schnappte mir die Sauciere.
»Warum reißt du die Augen so auf? Isst du zu Hause nichts Anständiges?«
»Ich bin gerade auf so einer blöden Diät«, murmelte ich.
Der Unmut meines Vaters war deutlich zu spüren. »Warum machst du so einen Quatsch?«
»Um mich zu quälen. Ich bin masochistisch veranlagt.«
»Liv, du weißt genau, dass ich von solchem Unfug nichts halte. Du siehst vollkommen normal aus.«
O nein. Mit meinem Geständnis hatte ich mir wahrscheinlich einen von Dads berüchtigten Lebensmitteleinkäufen eingehandelt. Schon auf dem College war er des Öfteren mit Papiertüten voller Lebensmittel, die ich nirgendwo unterbringen konnte, in meinem Wohnheim aufgetaucht. »Mein Kühlschrank zu Hause ist voll, Dad. Denk also nicht mal dran.«
»Hmm. Wir werden sehen.«
Ich kostete eine Gabel des buttrigen Kartoffelbreis, schloss vor Entzücken die Augen und sagte: »Der ist so lecker, da ist mir alles andere sowieso egal«, nur dass ich den Mund voller Kartoffelbrei hatte und es eher wie »Mmh-mmh mm mhm-mhm mh mm hm hmmm-hm mmh« klang.
»Mick, kommt Dee eigentlich mit dir auf die Hochzeit?«, erkundigte sich Elodie vom gegenüberliegenden Ende des Tischs aus. »Als ich letzte Woche mit ihr gesprochen habe, war sie sich noch nicht sicher.«
Ich warf meinem Dad einen Blick zu. Auch mich interessierte die Antwort auf diese Frage. Ich musste zugeben, obwohl ich fünfundzwanzig Jahre alt und längst erwachsen war, kam es mir immer noch komisch vor, meinen Dad mit einer Frau zu sehen, die nicht Mom war.
Vor etwa vier Monaten hatte Dad sich zum ersten Mal mit Dee, einer attraktiven Künstlerin Ende dreißig, verabredet. Dad hatte in Edinburgh seine alte Malerfirma M. Holloway wiedereröffnet und Jo als seine erste Mitarbeiterin eingestellt. Er genoss schon jetzt einen guten Ruf und hatte kürzlich seine Belegschaft um zwei Maler erweitern müssen. Ziemlich zu Anfang, als er noch mit Jo alleine gewesen war, hatten sie einen Auftrag von einem wohlhabenden jungen Paar in Morningside bekommen, das gerade sein erstes, stark renovierungsbedürftiges Haus gekauft hatte. Bei der Arbeit am Haus hatten sie Dee kennengelernt. Sie war eine Freundin des Paares und hatte im Kinderzimmer ein großes Wandgemälde mit Märchenmotiven angefertigt. Dad und Dee hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Sie war die erste Frau nach Mom, mit der er eine ernsthafte Beziehung eingegangen war.
Ich hatte allen Grund, Dee dankbar zu sein, dessen war ich mir vollauf bewusst. Seit sie in unser Leben getreten war, hatte Dad weniger Zeit, mich zu bemuttern, was er davor mit großer Hartnäckigkeit getan hatte. Als wir uns entschieden hatten, in Edinburgh zu bleiben, hatte ich darauf bestanden, mir eine eigene Wohnung zu nehmen. Nachdem wir so lange eng zusammengelebt hatten, brauchte ich meinen Freiraum. Ich liebte meinen Dad heiß und innig, aber manchmal vermittelte seine
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