Jamaica Lane - Heimliche Liebe
Vortritt und rief dann Jo hinterher: »Warte. Ich komme mit.«
Als ich das Wohnzimmer betrat, galt mein erster Blick Cole. Wie ich befürchtet hatte, war sein hübsches, jungenhaftes Gesicht angespannt, und er starrte zur Decke. Ich hasste es, ihn so zu sehen, weil ich wusste, was diese Miene bedeutete. Womit er im Innern zu kämpfen hatte.
Cole sprach nie darüber, aber bestimmt war es für ihn nicht leichter gewesen als für Jo, mit einer Mutter wie Fiona aufzuwachsen. Und ohne einen Vater – bis dieser wieder auf der Bildfläche erschien und sich herausstellte, dass er ein gewalttätiges Schwein war. Im Grunde war Jo seine Mutter gewesen, nicht Fiona. Trotzdem konnten die Misshandlungen nicht spurlos an ihm vorübergegangen sein. Bei dem bloßen Gedanken daran, dass sie womöglich bleibende Narben auf seiner Seele hinterlassen hatten, wurde mir schwer ums Herz. Er war so ein wundervolles Kind. Ich konnte nicht begreifen, wie irgendjemand es über sich brachte, ihm weh zu tun.
Cole musste meine Blicke gespürt haben, denn er sah zu mir herüber. Ich schenkte ihm ein sanftes Lächeln.
Er lächelte zurück, aber seine Augen blieben davon unberührt.
»Sandwich?«, fragte ich und kam mit der Platte zu ihm. Bevor er etwas antworten konnte, hatte ich mich neben ihn gesetzt und hielt ihm die Platte unter die Nase.
Zögernd nahm Cole ein Sandwich.
Ich schwieg.
Er schien darauf zu warten, dass ich etwas sagte.
Stattdessen breitete sich ganz langsam ein Grinsen auf meinem Gesicht aus. Cole starrte mich an, als wäre ich eine neuentdeckte Spezies. Dann schüttelte er den Kopf und musste wider Willen lachen. Die Anspannung wich aus seinem Körper, und er biss herzhaft von seinem Sandwich ab.
Als ich hochsah und mein Blick zufällig auf Nate fiel, wäre mir das Grinsen fast vergangen. Seine Miene war so zärtlich, dass mir die Luft wegblieb. Ich spürte das mittlerweile vertraute lustvolle Ziehen in der Brust, als er mir zuzwinkerte.
Eigentlich hatte ich immer gedacht, dass es unmöglich war zu zwinkern, ohne dass es aufgesetzt oder billig wirkte.
Scheinbar hatte ich mich geirrt.
Nate konnte es.
Sein Zwinkern war so sexy, dass es mir fast das Höschen auszog.
Oje. Sieh dich bloß vor, Soda Pop.
***
»Du musst mich nicht nach Hause bringen, Nate«, sagte ich, als wir in den Leith Walk einbogen.
Nachdem Jo ihre Mutter versorgt hatte, waren sie und Cam in die Wohnung zurückgekehrt. Wir hatten das Videospiel ausgeschaltet, um uns gemeinsam eine Komödie anzusehen. Nate hatte sich zu Jo hinuntergebeugt und ihr einen Kuss auf die Stirn gegeben, als er aufgestanden war, um ins Bad zu gehen, und die schlechte Stimmung zwischen ihnen war vergessen. Trotzdem ließ mich der Gedanke an das Tattoo nicht los, weil … na ja, weil ich eben neugierig war. Und weil Nates Reaktion auf seine Erwähnung durch Cole mich ein wenig beunruhigte. Ich hielt den ganzen Film durch, ohne ihn zu löchern, doch als Peetie ging, nahmen wir das zum Anlass, uns ebenfalls zu verabschieden.
Nate wohnte in Marchmont, einem studentisch geprägten Viertel jenseits der Meadows, einem großen Park hinter der Universität. Seine Wohnung lag südwestlich von Jos und Cams Wohnung in der London Road, wohingegen ich geradeaus nach Westen musste. Meine und Nates Wohnung trennte ein gut vierzigminütiger Fußweg.
»Es ist nach Mitternacht«, gab er leise zurück. »Ich lasse dich nicht alleine nach Hause gehen.«
»Ich bin schon groß. Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Das würde vielleicht zutreffen, wenn du dich dazu durchringen könntest, mit mir zum Judo zu kommen.«
Ich rümpfte die Nase. »Ich sehe gerne beim Judo zu, aber es selber machen – das ist nichts für mich.«
»Ich hoffe sehr, das gilt nicht für deine Einstellung zum Sex«, meinte er feixend. »Andererseits – Voyeurismus hat auch seinen Reiz.«
Ich knuffte ihn in den Arm. »Du bist so kindisch.«
»Ich kann nichts dafür, wenn du nicht nachdenkst, bevor du den Mund aufmachst«, sagte Nate mit einem gleichmütigen Achselzucken.
»Manno, was ich gesagt habe, hatte rein gar nichts mit Sex zu tun. Du verdrehst einfach alles so, dass es versaut klingt.«
Er grinste mich an. »Du, eine erwachsene Frau von fünfundzwanzig Jahren, sagst ›Manno‹ und nennst mich kindisch?«
»Darum geht es doch gar nicht«, gab ich pikiert zurück und ignorierte sein Gelächter. Und dann beschloss ich dummerweise, ihm die Laune zu verderben. Ich räusperte mich und stieß ihn
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