James Bond 01 - Casino Royale (German Edition)
Zeit recht schnell voran, und die Helden und Schurken wechseln ständig die Rollen.«
Mathis starrte ihn entgeistert an. Dann tippte er sich an den Kopf und legte eine beruhigende Hand auf Bonds Arm.
»Wollen Sie damit sagen, dass dieser edle Le Chiffre, der sein Bestes gegeben hat, um einen Eunuchen aus Ihnen zu machen, nicht als Schurke durchgeht?«, fragte er. »So wie Sie reden, könnte man meinen, dass er auf Ihren Kopf eingeschlagen hat anstatt auf Ihren …« Er deutete auf die untere Hälfte des Betts. »Warten Sie nur ab, bis M Ihnen befielt, einen weiteren Le Chiffre zu verfolgen. Ich wette, dass Sie sich ihn liebend gerne schnappen werden. Und was ist mit SMERSCH? Ich kann Ihnen versichern, dass mir die Vorstellung, dass diese Kerle durch Frankreich laufen und jeden umbringen, den sie als Verräter an ihrem kostbaren politischen System betrachten, ganz und gar nicht gefällt. Sie sind ein verdammter Anarchist.«
Er warf die Arme in die Luft und ließ sie hilflos an seine Seiten fallen.
Bond lachte.
»Also gut«, sagte er. »Nehmen wir unseren Freund Le Chiffre. Es ist einfach, zu sagen, dass er ein böser Mann war, zumindest für mich, da er mir böse Dinge angetan hat. Wenn er jetzt hier wäre, würde ich nicht zögern, ihn zu töten, allerdings aus persönlicher Rache und nicht aus einem moralischen Rechtsempfinden heraus oder für das Wohl meines Landes.«
Er schaute zu Mathis hoch, um festzustellen, wie sehr ihn diese beschaulichen Haarspaltereien langweilten, die für den Franzosen lediglich eine einfache Frage der Pflicht waren.
Mathis lächelte ihn an.
»Fahren Sie fort, mein lieber Freund. Es ist interessant für mich, diesen neuen Bond zu sehen. Engländer sind so seltsam. Sie sind wie ein ganzer Haufen Matroschka-Puppen. Man braucht sehr lange, um ins Zentrum zu gelangen. Sobald man dort ist, erweist sich das Ergebnis als der Mühe nicht wert, doch der Vorgang an sich ist lehrreich und unterhaltsam. Fahren Sie fort. Entwickeln Sie Ihre Argumente. Vielleicht kann ich etwas davon gegenüber meinem eigenen Vorgesetzten verwenden, wenn ich das nächste Mal aus einem unangenehmen Auftrag aussteigen will.« Er lächelte durchtrieben.
Bond ignorierte ihn.
»Um den Unterschied zwischen Gut und Böse beurteilen zu können, haben wir zwei Bilder erschaffen, die die Extreme darstellen – das tiefste Schwarz und das reinste Weiß –, und wir nennen sie Gott und den Teufel. Doch indem wir das taten, schummelten wir ein wenig. Gott ist ein klares Bild, man kann jedes Haar seines Bartes sehen. Aber der Teufel. Wie sieht der aus?« Bond schenkte Mathis einen triumphierenden Blick.
Mathis lachte ironisch.
»Wie eine Frau.«
»Das ist alles schön und gut«, sagte Bond, »aber ich habe über diese Dinge nachgedacht, und ich frage mich, auf wessen Seite ich stehen sollte. Der Teufel und seine Jünger, wie zum Beispiel der gute Le Chiffre, tun mir immer öfter sehr leid. Der Teufel hat es schwer, und ich habe mich schon immer gern auf die Seite des Unterdrückten gestellt. Wir geben dem armen Kerl keine Chance. Es gibt in der Bibel ein gutes Buch über die Tugend und darüber, wie man gut ist und all das, aber es gibt kein entsprechendes Buch über das Böse und darüber, wie man böse ist. Der Teufel hat keine Propheten, die seine Zehn Gebote niederschreiben und auch keine Gruppe Autoren, die seine Biografie verfassen. Seine Geschichte wurde ganz einfach übersehen. Wir wissen nichts über ihn, bis auf einige Märchen, die uns unsere Eltern und Lehrer erzählt haben. Er besitzt kein Buch, aus dem wir etwas über die Natur des Bösen in all ihren Formen lernen können, mit Parabeln über böse Menschen, Sprüchen über böse Menschen, Geschichten über böse Menschen. Alles, was wir haben, ist das lebende Beispiel der Menschen, die am wenigsten gut sind, oder unsere eigene Intuition.
Also«, fuhr Bond fort, dem sein Argument immer besser gefiel, »diente Le Chiffre einem wundervollen Zweck, einem wirklich wichtigen Zweck, vielleicht sogar dem besten und höchsten Zweck von allen. Durch seine böse Existenz, die ich dummerweise zu zerstören half, erschuf er eine Norm des Bösen, durch die allein eine gegenübergestellte Norm des Guten existieren konnte. Wir waren privilegiert, ihn gekannt zu haben, wenn auch nur kurz. Wir konnten seine Boshaftigkeit sehen und einschätzen und aus dieser Bekanntschaft als bessere, tugendhaftere Männer hervorgehen.«
»Bravo«, sagte Mathis. »Ich bin stolz auf Sie.
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