James Bond 02 - Leben und sterben lassen (German Edition)
würden.
»Sie müssen noch den zweiten Fahrpreis bezahlen, Mr Bryce«, sagte der Schaffner.
»Natürlich«, erwiderte Bond. Solitaire griff nach ihrer Handtasche. »Ist schon gut, Liebling«, sagte Bond und zückte seine Brieftasche. »Du hast wohl vergessen, dass du mir dein Geld zur Verwahrung gegeben hast, bevor wir aus dem Haus gegangen sind.«
»Schätze, die Dame wird eine Menge Geld für ihre Sommerkleider brauchen«, meinte der Schaffner. »Die Geschäfte in Saint Pete sind ziemlich teuer. Und dort ist es auch ziemlich heiß. Waren Sie schon mal in Florida?«
»Wir fahren jedes Jahr um diese Zeit hin«, antwortete Bond.
»Ich hoffe, Sie haben eine angenehme Reise«, sagte der Schaffner.
Als sich die Tür hinter ihm schloss, lachte Solitaire fröhlich auf.
»So einfach bringst du mich nicht in Verlegenheit«, sagte sie. »Ich werde mir etwas wirklich Gemeines ausdenken, wenn du nicht aufpasst. Und für den Anfang werde ich mal nach dort drüben verschwinden.« Sie deutete auf die Tür hinter Bonds Kopf. »Ich muss furchtbar aussehen.«
»Nur zu, Liebling«, sagte Bond lachend, während sie verschwand.
Bond wandte sich zum Fenster und betrachtete die hübschen, mit Schindeln bedeckten Häuser, an denen sie auf dem Weg nach Trenton vorbeifuhren. Er liebte Züge und sah dem Rest der Reise mit freudiger Aufregung entgegen.
Der Zug verlangsamte seine Fahrt. Sie glitten an Abstellgleisen voller leerer Güterwaggons vorbei, auf denen Namen aus allen möglichen Staaten standen – »Lackawanna«, »Chesapeake und Ohio«, »Lehigh Valley«, »Seaboard Fruit Express« und die melodische Kombination »Acheson, Topeka und Santa Fe« –, Namen, in denen die ganze Romantik der amerikanischen Eisenbahn steckte.
»British Railways?«, dachte Bond laut. Er seufzte und konzentrierte sich wieder auf das aktuelle Abenteuer.
Egal, was kommen mochte, er hatte beschlossen, Solitaires Anwesenheit zu akzeptieren, oder besser gesagt, auf seine pragmatische Art entschieden, das Beste aus ihrer Anwesenheit zu machen. Es gab viele Fragen, die beantwortet werden mussten, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, sie zu stellen. Alles, was ihn momentan beschäftigte, war die Tatsache, dass Mr Big einen weiteren Schlag hatte einstecken müssen – und er traf dort, wo es ihn am meisten schmerzte: in seiner Eitelkeit.
Was das Mädchen anging, kam er zu dem Schluss, dass es Spaß machen würde, sie zu necken und sich im Gegenzug auch von ihr necken zu lassen, und er war froh, dass sie die Grenzen der Kameradschaft und sogar der Intimität bereits überschritten hatten.
War das, was Mr Big gesagt hatte, wahr? Wollte sie tatsächlich nichts mit Männern zu tun haben? Er bezweifelte es. Sie schien der Liebe und der Lust gegenüber recht aufgeschlossen zu sein. Zumindest wusste er, dass sie ihm gegenüber nicht verschlossen war. Er wollte, dass sie zurückkam und sich ihm gegenüber setzte, damit er sie betrachten und mit ihr spielen und sie langsam entdecken konnte. Solitaire. Das war ein attraktiver Name. Kein Wunder, dass man ihn ihr in den schmierigen Nachtclubs in Port-au-Prince gegeben hatte. Selbst in ihrem momentanen Versprechen der Wärme ihm gegenüber lag viel, das zurückgezogen und geheimnisvoll war. Er spürte eine einsame Kindheit auf einer großen, verrottenden Plantage, die Überreste einer Villa, die langsam zu einer Ruine verfiel und von der üppigen Vegetation der Tropen übernommen wurde. Die Eltern starben, und der Besitz wurde verkauft. Die Gesellschaft von ein oder zwei Bediensteten und ein fragwürdiges Leben in einer Mietwohnung in der Hauptstadt. Die Schönheit, die ihr einziges Kapital war, und den Kampf gegen zwielichtige Angebote für eine Stelle als »Gouvernante«, »Begleiterin«, »Sekretärin«, die alle nichts anderes als angesehene Formen der Prostitution waren. Dann die bedenklichen, unbekannten Schritte in die Welt der Unterhaltung. Die allabendliche Arbeit im Nachtclub mit dem geheimnisvollen Auftritt, der unter Leuten, die vom Glauben an Magie beherrscht wurden, dafür gesorgt haben musste, dass ihr viele fernblieben, und sie zu einer gefürchteten Person machte. Und dann saß eines Abends der riesige Mann mit dem grauen Gesicht allein an einem Tisch. Das Versprechen, dass er sie an den Broadway bringen würde. Die Chance auf ein neues Leben, auf ein Entkommen aus der Hitze und dem Dreck und der Einsamkeit.
Bond wandte sich abrupt vom Fenster ab. Das mochte eine romantische Vorstellung
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