James Bond 02 - Leben und sterben lassen (German Edition)
Bryce ist gerade an Bord gekommen. Geradeaus durch den Wagen.«
Bond stieg in den Zug und ging den eintönigen olivgrünen Korridor entlang. Der Teppichboden war dick. Der für amerikanische Züge übliche Geruch nach abgestandenem Zigarrenrauch hing in der Luft. Auf einem Hinweisschild hieß es: B ENÖTIGEN S IE EIN ZWEITES K ISSEN? B ITTE WENDEN S IE SICH WEGEN ZUSÄTZLICHEN K OMFORTLEISTUNGEN AN I HREN Z UGBEGLEITER . S EIN N AME LAUTET , und darunter war ein gedrucktes Kärtchen in eine dafür vorgesehene Halterung geschoben worden, auf dem S AMUEL D. B ALDWIN stand.
Abteil H war über einen halben Waggon entfernt. In Abteil E saß ein respektabel wirkendes amerikanisches Paar. Die anderen Räume waren leer. Die Tür zu Abteil H war zu. Bond versuchte, sie zu öffnen, doch sie war verschlossen.
»Wer ist da?«, fragte eine nervöse Frauenstimme.
»Ich bin’s«, erwiderte Bond.
Die Tür ging auf. Bond betrat das Abteil, stellte seinen Koffer ab und verschloss die Tür wieder hinter sich.
Sie trug ein schwarzes maßgeschneidertes Kleid. Ein grobmaschiger Schleier hing unter dem Rand eines kleinen schwarzen Strohhuts herab. Eine behandschuhte Hand lag an ihrem Hals, und Bond konnte durch den Schleier erkennen, dass ihr Gesicht blass und ihre Augen vor Angst geweitet waren. Sie sah sehr französisch und sehr schön aus.
»Gott sein Dank«, stieß sie hervor.
Bond ließ den Blick kurz durch den Raum schweifen. Er öffnete die Tür zur Toilette und sah hinein. Sie war leer.
Eine Stimme auf dem Bahnsteig rief: »Alles einsteigen!« Ein Scheppern erklang, als der Zugbegleiter die eiserne Klapptreppe einholte und die Tür schloss, und dann rollte der Zug leise über die Schienen. Ein monotoner Glockenschlag ertönte, als sie die automatischen Signale passierten. Die Räder gaben ein leichtes Klappern von sich, während sie einige Bogenweichen überfuhren, und dann beschleunigte der Zug. Sie waren unterwegs, was auch immer als Nächstes geschehen mochte.
»Wo möchten Sie gerne sitzen?«, fragte Bond.
»Mir egal«, sagte sie unsicher. »Suchen Sie es sich aus.«
Bond zuckte mit den Schultern und ließ sich entgegen der Fahrtrichtung nieder, obwohl er es eigentlich vorzog, in Fahrtrichtung zu sitzen.
Nervös nahm sie ihm gegenüber Platz. Sie befanden sich immer noch in dem langen Tunnel, der die Philadelphia Line aus der Stadt herausführte.
Sie nahm ihren Hut ab, zog den grobmaschigen Schleier herunter und legte beides auf den Sitz neben sich. Dann entfernte sie ein paar Haarnadeln aus ihrer Hochsteckfrisur und schüttelte ihren Kopf, sodass das schwere schwarze Haar nach vorn fiel. Unter ihren Augen lagen blaue Schatten, woraus Bond schloss, dass sie ebenfalls eine schlaflose Nacht hinter sich hatte.
Zwischen ihnen befand sich ein Tisch. Plötzlich streckte sie einen Arm aus und zog seine rechte Hand auf dem Tisch in ihre Richtung. Sie hielt sie in beiden Händen, beugte sich vor und küsste sie. Bond runzelte die Stirn und versuchte, seine Hand wegzuziehen, doch für einen Augenblick hielt sie sie fest in ihren umklammert.
Sie sah auf, und schaute mit ihren blauen Augen offen in seine.
»Danke«, sagte sie. »Danke, dass Sie mir vertraut haben. Es muss schwer für Sie gewesen sein.« Sie ließ seine Hand los und lehnte sich zurück.
»Ich bin froh, dass ich es getan habe«, sagte Bond und wusste, dass die Worte nicht ausreichten. Sein Verstand versuchte, das Geheimnis dieser Frau zu erfassen. Er kramte in seiner Tasche nach seinen Zigaretten und dem Feuerzeug. Es war eine neue Packung Chesterfields, und er kratzte hilflos mit der rechten Hand am Zellophanpapier herum.
Sie streckte eine Hand aus und nahm ihm die Schachtel ab. Mit dem Daumennagel schlitzte sie die Verpackung auf, nahm eine Zigarette heraus, zündete sie an und reichte sie ihm. Bond nahm sie entgegen und lächelte sie an. Er schmeckte einen Hauch ihres Lippenstifts an der Zigarette.
»Ich rauche ungefähr drei Schachteln am Tag«, erklärte er. »Sie werden sehr beschäftigt sein.«
»Ich helfe Ihnen nur bei den neuen Packungen«, erwiderte sie. »Keine Sorge, ich werde Sie nicht den ganzen Weg bis nach Saint Petersburg bemuttern.«
Bonds Augen verengten sich, und das Lächeln verschwand aus ihnen.
»Sie glauben doch wohl nicht, dass ich Ihnen abgekauft habe, dass wir nur bis Washington fahren«, sagte sie. »Sie waren heute Morgen am Telefon nicht ganz bei der Sache. Außerdem war sich Mr Big sicher, dass sie nach Florida fahren
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