James Bond 02 - Leben und sterben lassen (German Edition)
wen er hier im Zug hat. Wir können davon ausgehen, dass es sich um einen Neger handelt, entweder ein Zugbegleiter oder jemand aus dem Speisewagen. Er kann diese Leute dazu bringen, absolut alles zu tun, was er verlangt.«
»Scheint so«, meinte Bond. »Aber wie macht er das? Wie kontrolliert er sie?«
Sie sah aus dem Fenster in den dunklen Tunnel, durch den der hell erleuchtete Zug gerade fuhr. Dann schaute sie wieder über den Tisch in die kühlen graublauen Augen des englischen Geheimagenten. Sie dachte: Wie kann man das jemandem mit einer solchen Geisteshaltung erklären, jemandem, der sich allein auf Vernunft und gesunden Menschenverstand verlässt und mit Kleidung und Schuhen in warmen Häusern in beleuchteten Straßen aufgewachsen ist? Wie kann man das jemandem erklären, der nicht so nah am verborgenen Herzen der Tropen gelebt hat und tagtäglich der Gnade ihrer Wut und ihrer Heimlichkeit und ihres Gifts ausgeliefert war? Jemandem, der nicht das Geheimnis der Trommeln erlebt oder die Auswirkungen der Magie gesehen hat und deswegen auch nicht die Todesangst kennt, die diese Dinge auslösen? Was kann er schon von Starrkrämpfen und Gedankenübertragung und dem sechsten Sinn der Fische, der Vögel und der Neger wissen? Von der tödlichen Bedeutung einer weißen Hühnerfeder, gekreuzter Stöcke auf der Straße oder eines kleinen Beutels voller Knochen und Kräuter? Vom Mialismus, vom Schattenraub, vom Tod durch Anschwellen und vom Tod durch Auszehrung?
Sie schauderte, und ein ganzes Heer aus dunklen Erinnerungen umgab sie und drang auf sie ein. Vor allem erinnerte sie sich an ihren ersten Besuch im Houmfor, dem Voodoo-Tempel, in den ihr schwarzes Kindermädchen sie damals mitgenommen hatte. »Ihnen wird nichts passieren, Missy. Das ist mächtiger guter Zauber. Der wird Sie für den Rest Ihres Lebens beschützen.« Und dann war da dieser widerliche alte Mann gewesen, der ihr den scheußlichen Trank gegeben hatte. Ihr Kindermädchen hatte ihr den Mund aufgehalten, bis sie auch den letzten Tropfen getrunken hatte, und dann hatte sie eine Woche lang jede Nacht wach gelegen und geschrien. Ihr Kindermädchen war besorgt gewesen, und dann hatte sie plötzlich wieder ruhig geschlafen, bis sie sich Wochen später auf ihrem Kissen herumgedreht und etwas Hartes gespürt hatte, das sich als ein schmutziges kleines Päckchen aus Dreck herausstellte, nachdem sie es aus dem Kissenbezug herausgewühlt hatte. Sie hatte es aus dem Fenster geworfen, doch am nächsten Morgen war es ihr nicht gelungen, es wiederzufinden. Sie hatte jedoch weiterhin gut geschlafen und daher gewusst, dass das Kindermädchen es gefunden und heimlich unter den Fußbodenbrettern versteckt haben musste.
Jahre später hatte sie erfahren, was es mit dem Voodoo-Trank auf sich gehabt hatte – es handelte sich um eine Mischung aus Rum, Schwarzpulver, Graberde und Menschenblut. Sie musste fast würgen, als sie sich nun an den Geschmack erinnerte.
Was konnte dieser Mann von diesen Dingen oder ihrem Halbglauben daran wissen?
Sie sah auf und stellte fest, dass Bonds Augen fragend auf sie gerichtet waren.
»Du denkst, ich würde das nicht verstehen«, sagte er. »Und bis zu einem gewissen Punk hast du recht. Aber ich weiß, was Angst mit Menschen machen kann, und ich weiß, dass Angst durch viele Dinge ausgelöst werden kann. Ich habe die meisten Bücher über Voodoo gelesen und ich glaube, dass es funktioniert. Ich glaube jedoch nicht, dass es bei mir funktionieren würde, weil ich bereits als Kind aufgehört habe, mich vor der Dunkelheit zu fürchten, und mich auch nicht besonders gut für Eingebung oder Hypnose eigne. Aber ich kenne die gebräuchlichen Begriffe, und du musst nicht denken, dass ich darüber lachen werde. Die Wissenschaftler und Ärzte, die diese Bücher geschrieben haben, lachen schließlich auch nicht darüber.«
Solitaire lächelte. »Also gut«, sagte sie. »Dann reicht es wohl, dir zu erklären, dass sie glauben, dass Mr Big der Zombie von Baron Samedi ist. Zombies sind auch so schon schlimm genug. Es sind belebte Leichen, die von den Toten auferweckt wurden und die Befehle der Person befolgen, die sie kontrolliert. Baron Samedi ist das schrecklichste Geisterwesen im gesamten Voodoo-Glauben. Er ist der Herr über Dunkelheit und Tod. Daher ist die Vorstellung, dass Baron Samedi seinen eigenen Zombie kontrolliert, unfassbar schrecklich. Du weißt, wie Mr Big aussieht. Er ist riesig und grau und hat unglaubliche körperliche Kraft. Für
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