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James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)

James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)

Titel: James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
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Herdeninstinkt dürfte demnach ebenfalls nicht existent sein. Ihr Drang nach Macht verlangte, dass sie ein Wolf und kein Schaf war. Sie arbeitete allein, war aber niemals einsam, weil sie weder Wärme noch Gesellschaft nötig hatte. Und natürlich war sie vom Temperament her stoisch – unbeirrbar, schmerzunempfindlich, träge. Faulheit war sicher ihr hartnäckiges Laster, dachte Kronsteen. Sie kam morgens wahrscheinlich nur schwer aus ihrem warmen Bett. Ihre privaten Angewohnheiten waren zweifellos schlampig, sogar schmutzig. Es wäre wohl kaum angenehm, überlegte Kronsteen, einen Blick auf die intime Seite ihres Lebens zu werfen, wenn sie ihre Uniform ablegte und sich entspannte. Kronsteens wulstiger Mund verzog sich bei dem Gedanken daran, und sein Geist übersprang eilig die Einordnung ihres Charakters, der zweifellos listig und stark war, um zu ihrer Erscheinung zu kommen.
    Rosa Klebb musste Ende vierzig sein, vermutete er, indem er ihr Alter anhand der Eckdaten des Spanischen Krieges errechnete. Sie war klein – etwa eins dreiundsechzig – und gedrungen, und ihre plumpen Arme, der kurze Hals und die Waden der stämmigen Beine, die in tristen khakifarbenen Strümpfen steckten, waren für eine Frau extrem stark gebaut. Nur der Teufel wusste, wie ihre Brüste aussahen, dachte Kronsteen, aber das ausgebeulte Vorderteil ihrer Uniform, das auf der Tischplatte ruhte, wirkte wie ein schlecht befüllter Sandsack, und ihre Figur mit den birnenförmigen Hüften konnte allgemein nur mit einem Cello verglichen werden.
    Die Tricoteusen der Französischen Revolution mussten Gesichter wie ihres gehabt haben, entschied Kronsteen, während er sich zurücklehnte und den Kopf leicht zur Seite neigte. Das ausgedünnte, orangefarbene Haar, das zu einem festen, unansehnlichen Knoten zurückgebunden war; die leuchtenden gelbbraunen Augen, die General G. so kalt durch die scharfkantigen eckigen Brillengläser anstarrten; der mit einer dicken Puderschicht bedeckte, großporige Zinken von einer Nase; der feuchte, klaffende Mund, der sich öffnete und schloss, als ob er von Drähten unter dem Kinn bewegt würde. Diese Frauen, die während der Französischen Revolution dagesessen, gestrickt und geplaudert hatten, während das Fallbeil der Guillotine zischend heruntergesaust war, mussten die gleiche blasse, dickliche Hühnerhaut gehabt haben, die in kleinen Falten unter den Augen, in den Mundwinkeln und unter den Kiefern saß, die gleichen großen Bauernohren, die gleichen harten, schwieligen Fäuste wie Schlagstöcke, die im Fall der Russin nun zu festen Fäusten geballt zu beiden Seiten der großen hängenden Brust auf der roten Samttischplatte lagen. Und ihre Gesichter mussten den gleichen Eindruck von Kälte, Grausamkeit und Stärke vermittelt haben wie dieses hier, schloss Kronsteen. Ja, er musste sich in diesem speziellen Fall den gefühlsgeladenen Ausdruck
schreckliche
Frau von SMERSCH gestatten.
    »Danke, Genossin Oberst. Ihre Rekapitulation der Situation ist für uns von großem Wert. Und nun, Genosse Kronsteen, haben Sie dem noch etwas hinzuzufügen? Fassen Sie sich bitte kurz. Es ist zwei Uhr, und wir haben alle einen harten Tag vor uns.« General G.s Augen waren vor Anstrengung und Schlafmangel blutunterlaufen. Sie starrten konzentriert über den Tisch in die bodenlosen braunen Tümpel unter der vorgewölbten Stirn. Es war nicht nötig gewesen, diesen Mann darauf hinzuweisen, sich kurzzufassen. Kronsteen hatte nie viel zu sagen, aber jedes seiner Worte war so viel wert wie eine ganze Rede jedes anderen Stabsmitglieds.
    Kronsteen war bereits zu einem Entschluss gekommen, sonst hätte er niemals zugelassen, dass sich seine Gedanken so lange auf die Frau konzentrierten.
    Er neigte langsam den Kopf zurück und starrte an der Decke ins Nichts. Seine Stimme war sehr sanft, aber in ihr lag eine Autorität, die nach besonderer Aufmerksamkeit verlangte.
    »Genosse General, ein Franzose, in gewisser Weise einer Ihrer Vorgänger, bemerkte einst, dass es nichts bringt, einen Mann zu töten, wenn man nicht auch seinen Ruf zerstört. Es wird natürlich sehr leicht sein, diesen Bond zu töten. Das könnte jeder bulgarische Auftragsmörder erledigen, wenn er die richtigen Anweisungen erhält. Der zweite Teil der Operation, die Zerstörung des Charakters dieses Mannes, ist wichtiger und sehr viel schwerer. Zum jetzigen Zeitpunkt ist mir nur klar, dass die Tat außerhalb von England ausgeführt werden muss, und zwar in einem Land, in dem wir

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