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James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)

James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)

Titel: James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
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MGB-Zentralregisters hinaus bewundert. Alle waren sich einig, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis ihr einer der höheren Offiziere über den Weg laufen und sie voller Entschlossenheit aus ihrer bescheidenen Abteilung herausholen würde, um sie zu seiner Geliebten, oder, wenn es unbedingt nötig war, zu seiner Ehefrau zu machen.
    Das Mädchen goss die dicke Suppe in eine kleine Porzellanschale, die um den Rand herum mit Wölfen verziert war, die einem galoppierenden Pferdeschlitten hinterherjagten, bröselte ein wenig Schwarzbrot hinein, und setzte sich auf den Stuhl am Fenster. Sie aß langsam und mit einem hübschen glänzenden Löffel, den sie vor wenigen Wochen nach einem lustigen Abend im Hotel Moskwa heimlich in ihre Tasche gesteckt hatte.
    Als sie fertig war, machte sie den Abwasch, kehrte zu ihrem Stuhl zurück, zündete sich die erste Zigarette des Tages an (in Russland rauchte ein anständiges Mädchen nicht in der Öffentlichkeit, außer in Restaurants, und wenn sie bei der Arbeit geraucht hätte, wäre sie sofort entlassen worden) und lauschte ungeduldig den wimmernden Misstönen eines Orchesters aus Turkmenistan. Dieses schreckliche orientalische Zeug, das sie immer spielten, um die Kulaken in einem dieser barbarischen Randstaaten zu erfreuen! Warum konnten sie nicht mal etwas spielen, das
kulturny
war? Ein wenig von dieser modernen Jazzmusik oder etwas Klassisches. Dieses Zeug war abscheulich. Schlimmer noch, es war altmodisch.
    Das Telefon schrillte. Sie stellte das Radio leiser und ging dran.
    »Korporal Romanowa?«
    Es war die Stimme ihres geliebten Professors Denikin. Aber außerhalb der Bürozeiten nannte er sie immer Tatjana oder sogar Tanja. Was hatte das zu bedeuten?
    Das Mädchen war angespannt und hatte die Augen weit aufgerissen. »Ja, Genosse Professor.«
    Die Stimme am anderen Ende klang fremd und kalt. »In fünfzehn Minuten, um acht Uhr dreißig, werden Sie zu einem Gespräch mit Genossin Frau Oberst Klebb von Otdiel II erwartet. Sie werden sich in ihrer Wohnung melden, Nummer 1875 im achten Stock Ihres Gebäudes. Haben Sie verstanden?«
    »Aber, Genosse, warum? Was ist … Was ist …?«
    Die seltsame, angespannte Stimme ihres geliebten Professors fiel ihr ins Wort.
    »Das ist alles, Genossin Korporal.«
    Das Mädchen hielt den Hörer ein Stück von ihrem Gesicht weg. Sie starrte ihn mit panischen Augen an, als ob sie auf diese Weise mehr Wörter aus den kleinen Löchern in dem schwarzen Bakelit herausbekommen könnte. »Hallo! Hallo!« Doch der Hörer blieb stumm. Sie merkte, dass ihre Hand und ihr Unterarm schmerzten, weil sie den Hörer fest umklammerte. Sie beugte sich langsam vor und legte den Hörer auf die Gabel.
    Einen Moment lang stand sie einfach nur wie erstarrt da und blickte blind auf den schwarzen Apparat. Sollte sie ihn zurückrufen? Nein, das stand außer Frage. Er hatte auf diese Weise mit ihr gesprochen, weil er ebenso gut wie sie wusste, dass jeder Anruf, den man in diesem Gebäude tätigte oder empfing, belauscht oder aufgezeichnet wurde. Aus diesem Grund hatte er kein Wort zu viel gesagt. Dies war eine Staatsangelegenheit. Eine Nachricht wie diese überbrachte man so schnell und mit so wenigen Worten wie möglich, um sie loszuwerden. Dann war man von der schrecklichen Bürde befreit. Man hatte den schwarzen Peter weitergereicht, und die eigenen Hände waren wieder sauber.
    Das Mädchen hob eine Hand an ihren Mund, biss sich auf die Fingerknöchel und starrte das Telefon an. Was wollten sie von ihr? Was hatte sie getan? Verzweifelt kramte sie in ihrem Gedächtnis herum, ging die Tage, die Monate, die Jahre durch. Hatte sie bei ihrer Arbeit einen schrecklichen Fehler gemacht, den sie gerade eben entdeckt hatten? Hatte sie irgendeine Bemerkung gegen den Staat geäußert, einen Scherz, der den falschen Leuten zu Ohren gekommen war? Das war immer möglich. Aber welche Bemerkung? Wann? Wenn es eine negative Bemerkung gewesen war, hätte sie zu dem Zeitpunkt doch Schuld oder Angst verspürt. Ihr Gewissen war rein. War es das tatsächlich? Plötzlich erinnerte sie sich. Was war mit dem Löffel, den sie gestohlen hatte? War das der Grund? Regierungseigentum! Sie würde ihn aus dem Fenster werfen, jetzt sofort, ganz weit auf eine Seite. Aber nein, das konnte es nicht sein. Das war zu unbedeutend. Sie zuckte resigniert mit den Schultern und ließ die Hand sinken. Dann stand sie auf und ging zum Kleiderschrank, um ihre beste Uniform herauszuholen. In ihren Augen sammelten

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