James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)
sich die Tränen der Angst und Verwirrung eines Kindes. Es konnte keines dieser Dinge sein. SMERSCH ließ wegen so etwas nicht nach einem schicken. Es musste etwas sehr viel Schlimmeres sein.
Durch den Tränenschleier warf die junge Frau einen Blick auf ihre billige Armbanduhr. Nur noch sieben Minuten Zeit! Eine neue Panik überkam sie. Sie wischte sich die Augen trocken und griff nach ihrer Paradeuniform. Egal was es war, sie konnte es sich nicht leisten, auch noch zu spät zu kommen! Sie riss an den Knöpfen ihrer weißen Baumwollbluse.
Während sie sich anzog, sich das Gesicht wusch und sich das Haar bürstete, beschäftigte sich ihr Verstand weiterhin mit diesem bösartigen Rätsel, wie ein neugieriges Kind, das mit einem Stock im Versteck einer Schlange herumstocherte. Aus welchem Winkel sie es auch versuchte, sie erntete stets ein wütendes Zischen.
Auch wenn sie die genaue Art der Schuld einmal beiseiteließ, war jeglicher Kontakt mit einem Arm von SMERSCH unaussprechlich. Der bloße Name dieser Organisation wurde gefürchtet und gemieden. »Smert Schpionam«, »Tod den Spionen«. Es war ein obszönes Wort, ein Wort aus einem Grab, das reine Wispern des Todes, ein Wort, das nicht einmal in geheimen Bürotuscheleien unter Freunden erwähnt wurde. Und das Schlimmste in dieser schrecklichen Organisation war Otdiel II, die Abteilung für Folter und Tod, das ultimative Grauen.
Und die Leiterin von Otdiel II, die Frau, Rosa Klebb! Über diese Frau kursierten unfassbare Geschichten, Geschichten, die Tatjana in ihren Albträumen heimsuchten, Geschichten, die sie während des Tages vergaß, die ihr aber jetzt wieder in den Sinn kamen.
Es hieß, dass sich Rosa Klebb keine Folter entgehen ließ. In ihrem Büro befanden sich ein blutbefleckter Kittel und ein niedriger Campinghocker, und man erzählte sich, dass selbst die Mitarbeiter von SMERSCH leiser sprachen und sich hinter ihren Zeitungen versteckten – und vielleicht sogar heimlich beteten –, wenn sie in dem Kittel und mit dem Hocker in der Hand durch die Kellergänge eilte, und dass sich erst wieder Normalität einstellte, wenn sie in ihr Büro zurückgekehrt war.
Denn, so hieß es zumindest, sie nahm den Campinghocker und stellte ihn ganz nah vor das Gesicht des Mannes oder der Frau, das über den Rand des Befragungstisches hing. Dann ließ sie sich auf dem Hocker nieder, starrte in das Gesicht und sagte leise: »Nummer 1« oder »Nummer 10« oder »Nummer 25«, und die Befrager wussten, was sie meinte, und machten sich an die Arbeit. Und sie beobachtete unterdessen die Augen in dem Gesicht, das nur ein paar Zentimeter von ihrem entfernt war, und atmete die Schreie ein, als wären sie Parfüm. Und je nachdem, was sie in den Augen sah, änderte sie die Foltermethode schnell und sagte: »Jetzt Nummer 36« oder »Jetzt Nummer 64«, und die Befrager machten etwas anderes. Wenn der Mut und der Widerstand dann nach und nach aus den Augen verschwanden und sie immer schwächer wurden und einen flehenden Ausdruck annahmen, fing sie an, sanft und beruhigend auf die Person einzureden. »Schon gut, mein Täubchen. Rede mit mir, mein hübsches Ding, dann wird es aufhören. Es schmerzt. Oh je, es schmerzt so sehr, mein Kind. Und der Schmerz ist so ermüdend. Wäre es nicht schön, wenn er aufhören würde und man sich in Frieden hinlegen könnte und er nie wieder von vorne anfängt? Deine Mutter ist hier neben dir und wartet nur darauf, den Schmerz zu beenden. Sie hat ein schönes, weiches gemütliches Bett für dich vorbereitet, in dem du schlafen und vergessen kannst. Vergessen, vergessen. Rede«, flüsterte sie liebevoll. »Du musst nur reden und du wirst Frieden erhalten und keine Schmerzen mehr spüren.« Wenn die Augen dann immer noch Widerstand leisteten, fing sie wieder mit ihrem zärtlichen Singsang an. »Oh, du bist dumm, mein hübsches Ding. Oh, so dumm. Dieser Schmerz ist nichts. Gar nichts! Du glaubst mir nicht, mein kleines Täubchen? Nun, dann muss deine Mutter ein wenig, aber nur ein wenig, von Nummer 87 anwenden.« Und die Befrager hörten ihre Worte, tauschten ihre Werkzeuge aus und suchten sich ein neues Ziel, und sie hockte da und sah zu, wie das Leben langsam aus den Augen sickerte, bis sie sehr laut ins Ohr der Person sprechen musste, damit die Worte überhaupt noch ihr Gehirn erreichten.
Doch es war selten, so sagte man, dass eine Person die Willensstärke besaß, der Schmerzensstraße von SMERSCH so lange zu folgen, geschweige denn, sie bis zum
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