James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)
nachgedacht, wie es sein würde, im Westen zu leben – all diese schönen Kleider, der Jazz, die modernen Dinge?«
»Nein, Genossin.« Das war die Wahrheit. Sie hatte nie darüber nachgedacht.
»Und wenn der Staat von Ihnen verlangen würde, im Westen zu leben?«
»Würde ich gehorchen.«
»Willentlich?«
Tatjana zuckte leicht ungeduldig mit den Schultern. »Man tut, was einem befohlen wird.«
Die Frau hielt inne. In der nächsten Frage lag ein verschwörerischer Unterton.
»Sind Sie noch Jungfrau, Genossin?«
Oh mein Gott, dachte Tatjana. »Nein, Genossin Oberst.«
Die feuchten Lippen glänzten im Licht.
»Wie viele Männer gab es?«
Tatjana lief rot an. Russische Mädchen waren zurückhaltend und prüde, wenn es um Sex ging. In Russland entsprach die sexuelle Situation der des viktorianischen Zeitalters in England. Die Fragen dieser schrecklichen Klebb waren umso abstoßender, weil sie in diesem kalten, forschenden Ton von einer Staatsbeamtin gestellt wurden, der sie nie zuvor begegnet war. Tatjana nahm all ihren Mut zusammen. Sie starrte in Verteidigungshaltung in die gelben Augen. »Welchem Zweck dienen diese intimen Fragen, Genossin Oberst?«
Rosa Klebb richtete sich auf. Ihre Stimme war wie das Knallen einer Peitsche. »Reißen Sie sich zusammen, Genossin. Sie sind nicht hier, um Fragen zu stellen. Sie vergessen offenbar, mit wem Sie reden. Antworten Sie mir!«
Tatjana zuckte zusammen und machte sich ganz klein. »Drei Männer, Genossin Oberst.«
»Wann? Wie alt waren Sie?« Die harten gelben Augen starrten über den Tisch in die verschreckten blauen Augen des Mädchens, hielten sie gefangen und befahlen.
Tatjana war den Tränen nah. »In der Schule. Als ich siebzehn war. Dann am Institut für Fremdsprachen. Ich war zweiundzwanzig. Und dann noch letztes Jahr. Ich war dreiundzwanzig. Es war ein Freund, den ich beim Eislaufen getroffen hatte.«
»Ihre Namen bitte, Genossin.« Rosa Klebb nahm einen Bleistift und zog einen Notizblock zu sich heran.
Tatjana bedeckte ihr Gesicht mit ihren Händen und brach in Tränen aus. »Nein«, jammerte sie zwischen den Schluchzern. »Nein, niemals, egal was Sie mir antun. Sie haben kein Recht dazu.«
»Hören Sie mit diesem Unfug auf.« Ihre Stimme war ein Zischen. »Ich könnte diese Namen oder was immer ich sonst von Ihnen wissen will, in fünf Minuten von Ihnen haben. Sie spielen ein gefährliches Spiel mit mir, Genossin. Meine Geduld ist nicht unerschöpflich.« Rosa Klebb hielt inne. Sie war zu grob. »Für den Moment werden wir es dabei belassen. Morgen werden Sie mir die Namen nennen. Diesen Männern wird kein Leid geschehen. Man wird ihnen ein oder zwei Fragen über Sie stellen – einfache technische Fragen, das ist alles. Nun setzen Sie sich richtig hin und trocknen Sie Ihre Tränen. Wir haben keine Zeit für diese Albernheiten.«
Rosa Klebb stand auf und kam um den Tisch herum. Sie stand über Tatjana und sah auf sie herunter. Ihre Stimme klang ölig und glatt. »Schon gut, meine Liebe. Sie müssen mir vertrauen. Ihre kleinen Geheimnisse sind bei mir sicher. Hier, trinken Sie noch etwas Champagner und vergessen Sie diese kleine Unannehmlichkeit. Wir müssen Freunde sein. Wir müssen zusammenarbeiten. Sie müssen lernen, meine liebe Tanja, mich so zu behandeln, wie Sie Ihre Mutter behandeln würden. Hier, trinken Sie das.«
Tatjana zog ein Taschentuch aus dem Bund ihres Rocks und tupfte sich die Augen trocken. Dann griff sie mit zitternder Hand nach dem Champagnerglas und nippte unglücklich daran.
»Trinken Sie das Glas leer, meine Liebe.«
Rosa Klebb stand wie eine schreckliche Glucke über dem Mädchen und redete ihr gut zu.
Tatjana leerte das Glas folgsam. Sie spürte, dass sie jeglicher Widerstand verlassen hatte. Sie war müde und bereit, alles zu tun, um diese Befragung hinter sich zu bringen, damit sie endlich von hier verschwinden und schlafen konnte. So ist es also, wenn man auf dem Befragungstisch liegt, dachte sie. Tja, es funktionierte. Sie war nun gefügig. Sie würde kooperieren.
Rosa Klebb setzte sich. Durch ihre mütterliche Maske betrachtete sie das Mädchen abschätzend.
»Und nun, meine Liebe, habe ich nur noch eine kleine intime Frage. Von Frau zu Frau. Genießen Sie den Liebesakt? Bereitet er Ihnen Freude? Große Freude?«
Tatjanas Hände hoben sich wieder und bedeckten ihr Gesicht. Dann antwortete sie mit gedämpfter Stimme: »Nun, ja, Genossin Oberst. Natürlich, wenn man verliebt ist …« Ihre Stimme verlor sich. Was
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