James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)
neben der Tür, beobachtete Bond und fragte sich, ob er zu ihr zurückkommen würde.
Sie hatte alles vom Fenster aus gesehen – die langen Weidenkörbe, die man zum Zug gebracht hatte, das Aufblitzen der Polizeikameras, den gestikulierenden
chef de train
, der versuchte, die Formalitäten zu beschleunigen, James Bonds große Gestalt, die aufrecht, hart und kalt wie ein Schlachtermesser kam und ging.
Bond war zurückgekehrt, hatte sich hingesetzt und sie angestarrt. Er hatte ihr unnachgiebige, brutale Fragen gestellt. Sie hatte sich verzweifelt gewehrt und sich eisern an ihre Geschichte gehalten, da sie wusste, dass sie ihn zweifellos für immer verlieren würde, wenn sie ihm nun alles sagte und ihm zum Beispiel verriet, dass SMERSCH in die ganze Sache verwickelt war.
Jetzt saß sie da und hatte Angst, Angst vor dem Netz in dem sie gefangen war, Angst vor dem, was hinter den Lügen gesteckt haben mochte, die man ihr in Moskau erzählt hatte – und vor allem hatte sie Angst, dass sie diesen Mann verlieren könnte, der so plötzlich zu ihrem einzigen Lebensinhalt geworden war.
Es klopfte an der Tür. Bond stand auf und öffnete. Ein fröhlicher, drahtiger Mann mit Kerims blauen Augen und einem zerzausten blonden Haarschopf über einem braunen Gesicht stürzte in das Abteil.
»Stefan Trempo, zu Ihren Diensten«, sagte er mit einem breiten Lächeln, das sie beide einschloss. »Meine Freunde nennen mich ‚Tempo‘. Wo ist der Chef?«
»Setzen Sie sich«, bat Bond. Noch einer von Darkos Söhnen, dachte er bei sich. Ich weiß es.
Der Mann warf ihnen beiden einen scharfen Blick zu und nahm vorsichtig zwischen ihnen Platz. Sein Gesicht hatte sich verfinstert. Nun starrten die strahlenden Augen Bond mit einer schrecklichen Eindringlichkeit an, in der Angst und Misstrauen lagen. Seine rechte Hand wanderte beiläufig in seine Jacketttasche.
Als Bond schließlich zu Ende erzählt hatte, stand der Mann auf. Er stellte keine Fragen, sondern sagte nur: »Danke, Sir. Würden Sie bitte mitkommen. Wir werden in meine Wohnung gehen. Es gibt viel zu erledigen.« Er trat in den Gang hinaus, stand mit dem Rücken zu ihnen da und starrte auf die Schienen. Als das Mädchen herauskam, marschierte er durch den Gang, ohne sich umzudrehen. Bond folgte dem Mädchen und trug die schwere Tasche und seinen kleinen Aktenkoffer.
Sie gingen über den Bahnsteig und auf den Bahnhofsvorplatz. Es hatte angefangen zu nieseln. Der Anblick der überall verteilten verbeulten Taxis und der tristen modernen Gebäude war deprimierend. Der Mann öffnete die hintere Tür einer schäbigen Morris-Oxford-Limousine. Dann stieg er vorne ein und fuhr los. Sie rumpelten über das Kopfsteinpflaster, bis sie einen rutschigen Asphaltboulevard erreichten und fuhren eine Viertelstunde lang durch breite, leere Straßen. Sie sahen nur wenige Fußgänger und kaum mehr als eine Handvoll anderer Autos.
Sie hielten in der Mitte einer Kopfsteinpflasterstraße an. Tempo führte sie durch die breite Eingangstür eines Wohnhauses und zwei Stockwerke ein Treppenhaus hinauf, dem der Geruch des Balkans anhaftete – der Geruch nach sehr altem Schweiß, Zigarettenrauch und Kohl. Er schloss eine Tür auf und führte sie in eine Zweizimmerwohnung mit unauffälligen Möbeln und schweren roten Stoffvorhängen, die von den einfachen Fenstern zurückgezogen waren, sodass man die andere Seite der Straße sehen konnte. Auf einer Anrichte stand ein Tablett mit mehreren ungeöffneten Flaschen, Gläsern und Tellern voller Früchte und Gebäck – der Willkommensgruß für Darko und Darkos Freunde.
Tempo deutete vage in Richtung der Getränke. »Bitte, Sir, Sie und Madam sollen sich wie zu Hause fühlen. Dort drüben ist ein Badezimmer. Sie würden sich sicher beide gerne frisch machen. Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, ich muss telefonieren.« Die harte Fassade des Gesichts drohte, zu bröckeln. Der Mann verschwand schnell im Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.
Es folgten zwei leere Stunden, in denen Bond dasaß und aus dem Fenster in der gegenüberliegenden Wand starrte. Von Zeit zu Zeit stand er auf, tigerte hin und her und setzte sich dann wieder. Während der ersten Stunde saß Tatjana ebenfalls da und tat so, als würde sie einen Stapel Zeitschriften durchblättern. Dann stand sie unvermittelt auf und ging ins Bad, und Bond hörte, wie Wasser in die Wanne eingelassen wurde.
Gegen sechs Uhr kam Tempo aus dem Schlafzimmer. Er informierte Bond darüber, dass er
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