James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)
sagt. Zumindest zu neunzig Prozent. Und ich weiß, dass sie glaubt, dass der Rest keine Rolle spielt. Wenn sie uns hintergeht, dann wurde sie auch selbst hintergangen. In Anbetracht Ihrer Schachanalogie wäre das durchaus möglich. Aber das bringt uns wieder zu der Frage zurück, was damit bewirkt werden soll.« Bonds Stimme verhärtete sich. »Und wenn Sie das wissen wollen, bitte ich Sie einfach nur, mit dem Spiel fortzufahren, bis wir es herausfinden.«
Kerim lächelte, als er Bonds sturen Gesichtsausdruck sah. Er lachte auf. »Wenn ich Sie wäre, mein Freund, würde ich den Zug in Thessaloniki verlassen – mit der Maschine, und wenn Sie wollen auch mit dem Mädchen, obwohl das nicht so wichtig ist. Ich würde ein Mietauto nach Athen nehmen und ins nächste Flugzeug nach London steigen. Aber ich wurde nicht dazu erzogen, ein ‚netter Kerl‘ zu sein.« Kerim ließ die Worte ironisch klingen. »Für mich ist das hier kein Spiel. Es ist ein Geschäft. Für Sie ist das etwas anderes. Sie sind ein Spieler. M ist ebenfalls ein Spieler. Das muss er sein, sonst hätte er Ihnen bei dieser Sache wohl kaum freie Hand gelassen. Er will ebenfalls die Antwort auf dieses Rätsel wissen. So sei es. Aber ich spiele gerne auf Sicherheit und überlasse so wenig wie möglich dem Zufall. Sie glauben, dass die Chancen gut stehen, dass das Glück Ihnen gewogen ist?« Darko Kerim drehte sich um und sah Bond direkt ins Gesicht. Seine Stimme nahm einen beharrlichen Tonfall an. »Hören Sie mir gut zu, mein Freund.« Er legte eine seiner großen Hände auf Bonds Schulter. »Das hier ist ein Billardtisch. Ein schöner, flacher grüner Billardtisch. Und Sie haben Ihre weiße Kugel angestoßen, und sie rollt ungehindert und leise auf die rote zu. Das Loch liegt direkt dahinter. Sie werden die rote Kugel treffen, das ist unausweichlich, und sie wird in dieses Loch fallen. Das ist das Gesetz des Billardzimmers. Doch außerhalb des Dunstkreises dieser Dinge hat ein Jetpilot das Bewusstsein verloren, und sein Flugzeug rast geradewegs auf das Billardzimmer zu, oder eine Gasleitung steht kurz vor der Explosion, oder ein Blitz schlägt gleich ein. Und das Gebäude bricht über Ihnen und dem Billardtisch zusammen. Und was ist dann mit dieser weißen Kugel passiert, die die rote Kugel nicht verfehlen konnte, und mit der roten Kugel, die wiederum das Loch nicht verfehlen konnte? Die weiße Kugel konnte ihr Ziel laut den Gesetzen des Billardtisches nicht verfehlen. Aber die Gesetze des Billardtisches sind nicht die einzigen Gesetze, und die Gesetze, die das Vorankommen dieses Zuges und den Fortschritt Ihrer Reise zu Ihrem Ziel bestimmen, sind ebenfalls nicht die einzigen Gesetze in diesem speziellen Spiel.«
Kerim hielt inne. Er tat seine Predigt mit einem Schulterzucken ab. »Aber das wissen Sie ja bereits alles, mein Freund«, sagte er entschuldigend. »Und ich habe von meinem Geschwafel über diese ganzen Binsenweisheiten Durst bekommen. Holen Sie das Mädchen, und dann gehen wir zusammen etwas essen. Aber halten Sie um Himmels willen die Augen offen und seien Sie auf Überraschungen gefasst.« Er fuhr mit seinem Finger über die Vorderseite seines Jacketts. »Ich möchte nichts beschwören, aber ich habe ein ungutes Bauchgefühl. Auf uns beide lauern während dieser Reise Überraschungen. Der Zigeuner meinte, wir sollten auf der Hut sein. Ich stimme ihm zu. Wir können das Spiel auf dem Billardtisch spielen, aber wir müssen beide einen wachsamen Blick auf die Welt außerhalb des Billardzimmers haben. Das verrät mir meine Nase«, sagte er und tippte dagegen.
Kerims Magen gab ein empörtes Geräusch von sich, wie ein vergessener Telefonhörer, an dessen anderem Ende ein wütender Anrufer wartete. »Da haben Sie’s«, entgegnete er voller Anteilnahme. »Was habe ich gesagt? Wir müssen etwas essen gehen.«
Sie beendeten ihr Abendessen, als der Zug in den scheußlichen modernen Bahnhof von Thessaloniki einfuhr. Bond trug die schwere kleine Tasche. Sie gingen durch den Zug zu ihrem Abteil zurück und trennten sich für die Nacht. »Wir werden schon bald wieder gestört werden«, warnte Kerim. »Um ein Uhr erreichen wir die Grenze. Die Griechen werden keinen Ärger machen, aber die Jugoslawen wecken gerne jeden auf, der komfortabel reist. Wenn sie Ihnen Probleme bereiten, lassen Sie nach mir schicken. Selbst in deren Land habe ich ein wenig Einfluss. Ich befinde mich im zweiten Abteil im nächsten Waggon. Ich habe es ganz für mich allein. Morgen
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