James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)
schmutzigen Länder, aus denen der Zug gekommen war, noch scheußlicher wirken, und Bond beobachtete mit fast schon sinnlicher Freude die bunt gekleideten Menschen, die durch die Sonne auf den Eingang zugingen, und die Leute mit Sonnenbrand, die ihren Urlaub gerade beendet hatten, und zum Bahnsteig eilten, um in den Zug zu steigen.
Ein Sonnenstrahl beleuchtete den Kopf eines Mannes, der für diese fröhliche Urlaubswelt typisch zu sein schien. Das Licht blitzte kurz auf dem goldenen Haar unter einer Mütze und einem dünnen goldenen Schnurrbart auf. Es blieb noch jede Menge Zeit, um den Zug zu erreichen. Der Mann bewegte sich ohne Eile. Bond kam der Gedanke, dass es sich bei ihm um einen Engländer handeln musste. Vielleicht war es die vertraute Form der dunkelgrünen Kangol-Mütze oder der beigefarbene, recht abgenutzte Mackintosh-Regenmantel, dieses typische Erkennungszeichen des englischen Touristen, oder womöglich lag es auch an der grauen Flanellhose oder den abgewetzten braunen Schuhen. Aber während sich der Mann dem Bahnsteig näherte, wurden Bonds Augen von ihm angezogen, als ob er ihn kennen würde.
Der Mann trug einen verbeulten Koffer und unter dem anderen Arm ein dickes Buch und ein paar Zeitungen. Er sieht wie ein Athlet aus, dachte Bond. Er hat die breiten Schultern und das gesund aussehende Gesicht eines professionellen Tennisspielers, der nach ein paar Turnieren im Ausland nach Hause fährt.
Der Mann kam näher. Nun sah er Bond direkt an. Lag da etwa Erkennen in seinem Blick? Bond kramte in seinem Gedächtnis herum. Kannte er diesen Mann? Nein. An diese Augen, die so kalt unter den hellen Brauen hervorstarrten, hätte er sich erinnert. Sie waren undurchsichtig, fast tot. Die Augen eines Ertrunkenen. Aber in ihnen lag eine Botschaft für ihn. Was war es? Erkennen? Eine Warnung? Oder einfach nur eine abwehrende Reaktion auf Bonds eigenes Starren?
Der Mann erreichte den Waggon. Seine Augen starrten nun geradewegs am Zug hinauf. Er ging vorbei, und die Gummisohlen seiner Schuhe verursachten keinerlei Geräusch. Bond beobachtete, wie er nach dem Geländer griff und mit Leichtigkeit die Stufen zum Waggon der ersten Klasse erklomm.
Plötzlich wusste Bond, was der Blick bedeutet hatte und wer der Mann war. Natürlich! Dieser Mann war vom Secret Service. M hatte letztendlich also doch beschlossen, ihm jemanden zur Unterstützung zu schicken. Das war die Botschaft in diesen seltsamen Augen. Bond würde alles darauf verwetten, dass dieser Mann bald Kontakt zu ihm aufnehmen würde.
Wie typisch für M, vollkommen auf Nummer sicher zu gehen!
EINE KRAWATTE MIT WINDSORKNOTEN
Um die Kontaktaufnahme zu erleichtern, verließ Bond das Abteil und stellte sich in den Gang. Er ging die Details für den aktuellen Geheimcode noch einmal durch, die paar harmlosen Phrasen, die am ersten Tag jedes Monats geändert wurden und als einfaches Erkennungssignal zwischen englischen Agenten dienten.
Der Zug machte einen Ruck und bewegte sich langsam in den Sonnenschein hinaus. Am Ende des Gangs schlug die Verbindungstür zu. Es erklangen keine Schritte, aber plötzlich spiegelte sich das rotgoldene Gesicht im Fenster.
»Verzeihung. Darf ich um ein Streichholz bitten?«
»Ich benutze immer mein Feuerzeug.« Bond zog sein verbeultes Ronson-Feuerzeug aus der Tasche und reichte es dem Mann.
»Das ist noch besser.«
»Bis es kaputt geht.«
Bond sah dem Mann ins Gesicht und erwartete ein Lächeln, nachdem sie dieses kindische »Wer da? – Ein Freund«-Ritual hinter sich gebracht hatten.
Die dicken Lippen zuckten kurz. In den sehr blassen blauen Augen blitzte kein Licht auf.
Der Mann hatte seinen Regenmantel ausgezogen. Er trug ein altes rotbraunes Tweedjackett zu seiner Flanellhose und darunter ein hellgelbes Sommerhemd und eine Krawatte mit dem dunkelblauen und roten Zickzackmuster der Royal Engineers. Sie war mit einem Windsorknoten gebunden. Bond misstraute jedem, der seine Krawatte mit einem Windsorknoten band. Es zeugte von zu viel Eitelkeit. Oftmals deutete es auf einen Schurken hin. Bond beschloss, sein Vorurteil zu vergessen. Ein goldener Siegelring mit einem nicht entzifferbaren Zeichen glänzte am kleinen Finger der rechten Hand, die das Geländer umfasste. Aus der Brusttasche des Jacketts schaute der Zipfel eines roten Taschentuchs hervor. An seinem linken Handgelenk befand sich eine abgenutzte silberne Armbanduhr mit einem alten Lederband.
Bond kannte den Typ Mann – eine weniger bekannte Internatsschule und
Weitere Kostenlose Bücher