James Bond 06 - Dr. No (German Edition)
Guaneras und plünderten sie etwa zwanzig Jahre lang. Es war eine Zeit, die in Peru als ‚Saturnalien‘ bekannt ist. Es war wie der große Goldrausch in Alaska. Die Leute stritten sich um den Dreck, kaperten gegenseitig ihre Schiffe, erschossen die Arbeiter, verkauften gefälschte Karten geheimer Guanoinseln – alles, was man sich nur vorstellen kann. Und so mancher scheffelte ein Vermögen mit dem Zeug.«
»Wie kommt da Crab Key ins Spiel?«, fragte Bond, um zu seinem Fall zurückzukommen.
»Das war die einzige lohnenswerte Guanofundstelle so weit nördlich. Man hat es dort auch abgebaut, weiß der Himmel, warum. Aber das Zeug hatte einen niedrigen Nitratgehalt. Das Wasser ist hier nicht so reichhaltig wie am Humboldtstrom, und das wirkt sich natürlich auf die Fische aus. Entsprechend ist der Guano ebenfalls nicht so hochwertig. Er wurde auf Crab Key abgebaut, solange der Preis gut war. Aber als die Deutschen dann den künstlichen Dünger entwickelten, fiel die ganze Industrie in sich zusammen, und Crab Key sowie die ganzen anderen Fundorte minderer Qualität wurden als Erstes aufgegeben. Dann wurde Peru endlich klar, dass es eine fantastische Kapitalanlage verschwendet hatte. Also organisierte es die Überreste der Industrie neu und begann, die Guaneras zu schützen. Die Industrie wurde verstaatlicht, die Vögel befanden sich nun in Schutzgebieten, und sehr, sehr langsam sammelten sich die Vorräte wieder an. Dann entdeckte man, dass das deutsche Zeug unerwartete Nachteile hatte. Es laugt den Boden aus, was Guano nicht tut, und so stieg der Guanopreis allmählich wieder an, und die Industrie kam wieder auf die Beine. Jetzt läuft es hervorragend, abgesehen davon, dass Peru einen Großteil des Guanos für seine eigene Landwirtschaft zurückbehält. Und so wurde Crab Key wieder interessant.«
»Ah.«
»Ja«, sagte Pleydell-Smith, tastete seine Taschen wieder nach den Streichhölzern ab, fand sie schließlich auf seinem Schreibtisch, schüttelte die Schachtel an seinem Ohr und begann sein Ritual des Pfeifenstopfens. »Zu Kriegsbeginn hatte dieser Chinese – der übrigens ein ziemlich gerissener Teufel sein muss – die Idee, dass er aus der alten Guanofundstelle auf Crab Key etwas machen könnte. Der Preis betrug damals auf dieser Seite des Atlantiks ungefähr fünfzig Dollar pro Tonne, und er kaufte uns die Insel für etwa zehntausend Pfund ab, wenn ich mich richtig erinnere. Er brachte seine Männer hin und machte sich ans Werk. Seitdem läuft sein Geschäft. Er muss ein Vermögen damit verdient haben. Er verschifft den Guano über Antwerpen direkt nach Europa. Sie schicken ihm einmal im Monat ein Schiff. Er hat die modernsten Brecher und Zentrifugen. Ich glaube, er beutet seine Arbeiter ganz schön aus. Um einen anständigen Profit zu erzielen, muss er das wohl. Besonders jetzt. Letztes Jahr habe ich gehört, dass er in Antwerpen nur noch achtunddreißig bis vierzig Dollar pro Tonne bekommt. Nur der Himmel weiß, was er seinen Arbeitern bezahlen muss, um bei diesem Preis überhaupt noch Gewinn zu machen. Es ist mir nie gelungen, das herauszufinden. Er führt sein Unternehmen wie eine Festung – eine Art Arbeitslager. Niemand kommt je von der Insel runter. Ich habe ein paar seltsame Geschichten gehört, aber es hat sich noch nie jemand beklagt. Es ist natürlich seine Insel, und er kann damit tun, was er will.«
Bond suchte nach Hinweisen. »Ist die Insel denn wirklich so wertvoll für ihn? Was denken Sie, was sie wert ist?«
»Die Guanokormorane sind die wertvollsten Vögel der Welt«, antwortete Pleydell-Smith. »Jedes Paar produziert im Jahr für etwa zwei Dollar Guano, ohne dass der Besitzer etwas dafür ausgeben muss. Die weiblichen Exemplare legen im Durchschnitt etwa drei Eier und ziehen zwei Junge auf. Pro Jahr brüten sie zwei Mal. Sagen wir mal, sie sind etwa fünfzehn Dollar pro Paar wert, und nehmen wir an, es gibt hunderttausend Vögel auf Crab Key, was angesichts der alten Zahlen, die wir haben, durchaus denkbar ist. Das würde bedeuten, dass seine Vögel einen Wert von etwa anderthalb Millionen Dollar haben. Ein recht wertvoller Besitz. Dazu kommt noch der Wert der ganzen Anlagen und Gerätschaften, sagen wir eine weitere Million, und diese hässliche kleine Insel ist ein kleines Vermögen wert. Was mich an etwas erinnert.« Pleydell-Smith betätigte die Klingel. »Was ist eigentlich aus den Akten geworden? Darin werden Sie sämtliche Informationen finden, die Sie brauchen.«
Hinter Bond
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