James Bond 06 - Dr. No (German Edition)
lachte und sagte: »Was für ein Feigling. Fürchtet sich vor einem einfachen Mädchen.« Bond hörte, wie sie in den Schränken herumwühlte. Dabei sprach sie weiter halb zu sich selbst: »Ich frage mich, warum er Angst hat. Wenn ich mit ihm ringen würde, würde ich natürlich mit Leichtigkeit gewinnen. Vielleicht fürchtet er sich davor. Vielleicht ist er in Wahrheit gar nicht so stark. Seine Arme und seine Brust sehen recht stark aus. Aber ich habe den Rest noch nicht gesehen. Vielleicht ist er schwach. Ja, das muss es sein. Deswegen traut er sich nicht, sich vor mir auszuziehen. Hm, mal sehen, würde ich ihm hierin gefallen?« Sie hob die Stimme. »Liebster James, würde ich dir in einem weißen Kleid mit hellblauen Vögeln darauf gefallen?«
»Ja, verdammt noch mal«, knurrte Bond durch seine Hände. »Jetzt hör auf, vor dich hinzuplappern, und komm frühstücken. Ich werde langsam müde.« Doch sie ließ sich nicht beirren. »Oh, wenn du meinst, dass es Zeit für uns wird, ins Bett zu gehen, werde ich mich natürlich beeilen.«
Das Geräusch eiliger Schritte folgte, und Bond hörte, wie sie sich ihm gegenübersetzte. Er nahm die Hände vom Gesicht. Sie lächelte ihn an. Sie sah umwerfend aus. Ihr Haar war gekämmt und wundervoll frisiert. Auf der einen Seite fiel es über ihre Wange, auf der anderen war es glatt hinters Ohr gestrichen. Ihre Haut strahlte frisch, und die großen blauen Augen funkelten glücklich. Nun liebte Bond die gebrochene Nase. Sie war einfach ein Teil von Honey, und plötzlich wurde ihm klar, dass es ihn sehr traurig machen würde, wenn sie einfach nur ein makellos schönes Mädchen wie all die anderen schönen Mädchen wäre. Aber er wusste, dass es nichts bringen würde, zu versuchen, sie davon zu überzeugen. Sie saß sittsam da und hatte die Hände im Schoß gefaltet, doch der Kimono stand so weit offen, dass man einen Teil ihrer Brüste und ihres Bauchs sehen konnte.
»Hör zu, Honey«, erklärte Bond streng. »Du siehst wundervoll aus, aber so trägt man einen Kimono nicht. Wickel ihn fest um deinen Körper und binde ihn ordentlich zu. Und hör vor allem auf, so zu tun, als wärst du ein Callgirl. Das gehört sich beim Frühstück einfach nicht.«
»Oh, du bist ein grummeliger alter Langweiler.« Sie zog ihren Kimono ein paar Zentimeter weiter zu. »Warum willst du denn nicht spielen? Ich möchte Verheiratetsein spielen.«
»Nicht beim Frühstück«, sagte Bond unbeirrt. »Komm schon, iss jetzt. Es ist köstlich. Außerdem bin ich schmutzig. Ich werde mich rasieren und ein Bad nehmen.« Er stand auf, ging um den Tisch herum und küsste sie aufs Haar. »Und was das Spielen angeht, wie du es nennst, sollst du wissen, dass ich mit niemandem auf der Welt lieber spielen würde als mit dir. Aber nicht jetzt.« Ohne ihre Erwiderung abzuwarten, ging er ins Bad und schloss die Tür hinter sich.
Bond rasierte sich, badete und duschte sich danach kurz ab. Er war furchtbar müde. Immer wieder drohte ihn der Schlaf zu übermannen, sodass er von Zeit zu Zeit innehalten und seinen Kopf zwischen seine Knie legen musste. Als er sich die Zähne putzen wollte, war er kaum noch in der Lage dazu. Nun erkannte er die Anzeichen. Er war unter Drogen gesetzt worden. War es der Kaffee oder der Ananassaft gewesen? Es spielte keine Rolle. Nichts spielte eine Rolle. Er wollte sich einfach nur auf die Fliesen legen und die Augen schließen. Bond wankte benebelt zur Tür. Er vergaß, dass er nackt war. Das spielte auch keine Rolle. Das Mädchen hatte fertig gefrühstückt. Sie lag im Bett. Er stolperte zu ihr und musste dabei an den Möbeln Halt suchen. Der Kimono lag zusammengeknüllt auf dem Boden. Sie war nackt und schlief tief und fest unter einem der Laken.
Bond starrte verträumt auf das leere Kissen neben ihrem Kopf. Nein! Er fand die Schalter und löschte das Licht. Nun musste er über den Boden in sein Zimmer krabbeln. Er erreichte sein Bett und zog sich hinauf. Mit einem bleischweren Arm griff er nach dem Schalter der Nachttischlampe. Er verfehlte ihn. Die Lampe fiel krachend zu Boden, und die Glühbirne zerbrach. Mit letzter Kraft drehte sich Bond auf die Seite und gab sich dem Schlaf hin. Die Leuchtziffern der elektronischen Uhr im Nebenzimmer zeigten halb zehn.
Um zehn Uhr wurde die Tür zum großen Schlafzimmer leise geöffnet. Das Licht im Flur beleuchtete die Umrisse einer sehr großen, dünnen Gestalt. Es war ein Mann. Er musste fast zwei Meter groß sein. Er stand mit ineinander
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