James Bond 06 - Dr. No (German Edition)
Klingeln. Dann schaute er sich im Zimmer um. Jemand war hereingekommen, während sie geschlafen hatten, und hatte die Überreste des Frühstücks weggeräumt. Auf einer Anrichte an der Wand stand ein Tablett mit Getränken. Bond ging hinüber und untersuchte es. Es war alles dabei. Zwischen den Flaschen steckten zwei große eng bedruckte Speisekarten. Sie hätten aus dem Savoy Grill, dem »21« oder dem Tour d’Argent stammen können. Bond überflog eine von ihnen. Sie fing mit
Caviar double de Beluga
an und endete mit
Sorbet à la Champagne
. Dazwischen befand sich jedes nur denkbare Gericht, dessen Bestandteile nicht durchs Einfrieren beschädigt werden konnten. Bond warf die Karte auf die Anrichte. Man konnte sich eindeutig nicht über die Qualität des Specks in der Falle beschweren!
Es klopfte an der Tür, und die elegante May kam herein. Ihr folgten zwei strahlende chinesische Mädchen. Bond tat ihre Freundlichkeiten mit einer Geste ab, bestellte Tee und Buttertoast für Honeychile und trug ihnen auf, sich um ihre Haare und Fingernägel zu kümmern. Dann ging er ins Bad, wo er ein paar Aspirin einwarf und sich kalt abduschte. Er zog den Kimono wieder an, kam zu dem Schluss, dass er darin idiotisch aussah, und kehrte ins Zimmer zurück. Eine strahlende May fragte ihn, ob er wohl so freundlich sein würde, auszuwählen, was er und Mrs Bryce gern zum Abendessen hätten. Lustlos bestellte Bond Kaviar, gegrillte Lammkoteletts und Salat sowie Austern im Speckmantel für sich. Als Honeychile sich weigerte, einen Vorschlag zu machen, wählte er für sie Melone, gegrilltes Hähnchen nach englischer Art und Vanilleeis mit heißer Schokoladensoße.
May lächelte anerkennend und wirkte begeistert. »Der Doktor fragt, ob Ihnen neunzehn Uhr fünfundvierzig recht wäre.«
Bond gab knapp seine Zustimmung.
»Vielen Dank, Mr Bryce. Ich werde Sie dann um neunzehn Uhr vierundvierzig abholen.«
Bond ging zur Frisierkommode hinüber, wo Honeychile bearbeitet wurde. Er beobachtete, wie sich die geschäftigen, zierlichen Finger an ihren Haaren und Fingernägeln zu schaffen machten. Sie lächelte ihn aus dem Spiegel aufgeregt an. »Lass dich von ihnen nicht in einen Clown verwandeln«, brummte er und ging zum Getränketablett. Er goss sich einen Bourbon mit Soda ein und nahm ihn mit in sein eigenes Zimmer. So viel zu seiner Idee, sich eine Waffe zu beschaffen. Die Scheren und Feilen waren mit einer Kette an der Taille der Maniküre befestigt. Das Gleiche galt für die Scheren der Frisörin. Bond setzte sich auf sein ungemachtes Bett und vertiefte sich in seinen Drink und seine düsteren Gedanken. Schließlich gingen die Frauen wieder, und das Mädchen schaute zu ihm herein. Als er den Kopf nicht hob, kehrte sie in ihr eigenes Zimmer zurück und ließ ihn allein. Irgendwann ging Bond dann doch in ihr Zimmer, um sich einen weiteren Drink einzuschenken. »Honey, du sieht wundervoll aus«, sagte er ohne Interesse. Er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand, ging in sein Zimmer zurück, trank seinen Drink und zog einen weiteren dieser idiotischen Kimonos an, dieses Mal einen einfachen schwarzen.
Bald darauf klopfte es leise an der Tür, und sie verließen gemeinsam das Zimmer, um schweigend durch den leeren, eleganten Flur zu gehen. Vor dem Aufzug blieb May stehen. Die Türen wurden von einer weiteren eifrigen Chinesin aufgehalten. Sie traten hinein, und die Türen schlossen sich. Bond bemerkte, dass es sich um einen Aufzug von Waygood Otis handelte. Alles in diesem Gefängnis war vom Feinsten. Innerlich schüttelte es ihn vor Abneigung. Er bemerkte die Reaktion des Mädchens und wandte sich ihr zu. »Tut mir leid, Honey. Ich habe ein wenig Kopfweh.« Er wollte ihr nicht gestehen, dass ihn dieses ganze Luxustheater in den Wahnsinn trieb, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, worum es hier ging, aber trotzdem wusste, dass definitiv etwas nicht stimmte, und dass er nicht einmal den Ansatz eines Plans hatte, um sie aus dieser Lage – was immer es auch für eine Lage sein mochte – zu befreien. Das war das Schlimmste von allem. Nichts deprimierte Bond mehr als das Wissen, dass er weder einen Plan zum Angriff noch zur Verteidigung hatte.
Das Mädchen kam näher an ihn heran. »Das tut mir leid, James«, sagte sie. »Ich hoffe, das vergeht schnell. Du bist doch nicht wegen irgendetwas wütend auf mich, oder?«
Bond zwang sich zu einem Lächeln. »Nein, Liebling«, erwiderte er. »Ich bin nur auf mich selbst wütend.« Er senkte
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