James Bond 06 - Dr. No (German Edition)
sich ein wenig eingewöhnen können.« Sie hielt inne und sah sie nacheinander fragend an. »Soll ich ihm mitteilen …?«
»Ja, bitte«, erwiderte Bond. »Teilen Sie dem Doktor mit, dass wir liebend gerne mit ihm zu Abend essen.«
»Oh, das wird ihn sehr freuen.« Mit einem letzten höflichen Zwitschern zogen sich die beiden Frauen diskret zurück und schlossen die Tür hinter sich.
Bond wandte sich zu Honeychile. Sie wirkte peinlich berührt und sah ihm immer noch nicht in die Augen. Bond kam der Gedanke, dass sie womöglich noch nie in ihrem Leben so zuvorkommend behandelt worden war oder solchen Luxus gesehen hatte. Für sie musste das alles sehr viel seltsamer und erschreckender sein als das, was sie draußen auf der Insel durchgemacht hatten. Sie stand da und fummelte am Saum ihres zerlumpten Rocks herum. Ihr Gesicht war ein verschmiertes Durcheinander aus getrocknetem Schweiß und Staub. Auch ihre nackten Beine waren schmutzig, und Bond bemerkte, dass sich ihre Zehen leicht bewegten, während sie sich nervös in den wundervollen schweren Teppich gruben.
Bond lachte. Er lachte aus echter Freude darüber, dass ihre Angst von dem einfachen Dilemma überlagert worden war, welche Kleidung sie trug und wie sie sich benehmen sollte, und er lachte über das Bild, das sie beide boten – sie in ihren Lumpen und er in seinem schmutzigen blauen Hemd, der verdreckten Jeans und den schlammbedeckten Leinenschuhen.
Er ging zu ihr und nahm ihre Hände in seine. Sie waren kalt. »Honey, wir sind ein Paar Vogelscheuchen«, sagte er. »Es gibt nur ein Problem. Sollen wir zuerst das Frühstück essen, solange es noch warm ist, oder sollen wir lieber zuerst baden und später kalt frühstücken? Mach dir um alles andere keine Sorgen. Wir sind hier in diesem wundervollen kleinen Haus, und das ist alles, was zählt. Also, was sollen wir tun?«
Sie lächelte unsicher. Ihre blauen Augen suchten in seinem Gesicht nach Bestätigung. »Machst du dir keine Sorgen darum, was mit uns passieren wird?« Sie sah sich im Zimmer um. »Glaubst du nicht, dass das alles hier eine Falle ist?«
»Wenn es eine ist, sind wir längst hineingetappt. Da können wir auch genauso gut den Speck essen. Die einzige Frage ist, ob wir ihn warm oder kalt essen.« Er drückte ihre Hände. »Im Ernst, Honey. Überlass die Sorgen mir. Denk nur mal daran, wo wir uns noch vor einer Stunde befunden haben. Ist das hier nicht besser? Jetzt komm und entscheide die wirklich wichtigen Dinge. Bad oder Frühstück?«
»Nun, wenn du denkst …«, begann sie zögerlich. »Ich meine, ich würde mich lieber erst waschen. Aber du musst mir dabei helfen«, fügte sie schnell hinzu und deutete mit dem Kopf in Richtung Badezimmertür. »Ich weiß nicht, wie man diese Dinge da drinnen benutzt. Was muss man da machen?«
»Das ist ganz einfach«, erwiderte Bond ernst. »Ich werde alles für dich vorbereiten. Und während du badest, werde ich frühstücken. Deins halte ich für dich warm.« Bond ging zu einem der Einbauschränke und schob die Tür zurück. Dahinter befand sich ein halbes Dutzend Kimonos, manche aus Seide, andere aus Leinen. Er nahm willkürlich einen aus Leinen heraus. »Zieh dich aus und probier den hier an. Ich lasse dir in der Zwischenzeit ein Bad ein. Später kannst du dir aussuchen, was du zum Schlafen und zum Abendessen tragen willst.«
»Oh ja, James«, entgegnete sie dankbar. »Wenn du mir zeigst, wie.« Sie fing an, ihr Hemd aufzuknöpfen.
Bond wollte sie in die Arme nehmen und küssen. Stattdessen sagte er knapp: »Ist schon gut, Honey«, ging ins Bad und drehte die Wasserhähne auf.
Das Badezimmer war mit allem ausgestattet, was man sich wünschen konnte – Floris-Limettenbadeessenz für Herren und Guerlain-Badewürfel für Damen. Er bröselte einen der Würfel ins Wasser, und sofort roch der ganze Raum wie ein Orchideenhaus. Bei der Seife handelte es sich um Sapoceti von Guerlain mit dem Duft
Fleurs des Alpes
. In einem Spiegelschrank über dem Waschbecken waren Zahnbürsten, Zahnpasta, Zahnstocher von Steradent, Mundwasser mit Rosengeschmack, Zahnseide, Aspirin und ein Mittel gegen Sodbrennen. Außerdem entdeckte er einen Elektrorasierer, Rasierwasser von Lentheric sowie zwei Nylonhaarbürsten und Kämme. Alles war nagelneu und unberührt.
Bond betrachtete sein schmutziges, unrasiertes Gesicht im Spiegel. Ein Schiffbrüchiger mit sonnengegerbter Haut und blaugrauen Augen erwiderte sein humorloses Lächeln. Der Überzug der Pille war zweifellos
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