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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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brauchen.»
    Sie sah mich einen Moment lang unverwandt an, und ich erwiderte ihren Blick. Während dieses Moments überlegte ich, ob ich meiner Bitte
stillen Nachdruck verleihen sollte, indem ich ihr wie ein Liebender die Hand auf die Schulter legte. Ich kam zu dem Schluss, dass ich es besser nicht tun sollte. Sie ging zum Kamin und setzte sich schweigend in einen niedrigen Sessel am Feuer. Dort verschränkte sie geduldig die Arme. Ich setzte mich vor sie hin.
    « Bei Ihnen, Miss Blunt», sagte ich,«muss man sehr deutlich werden. Sie nehmen die Dinge nicht einfach als gegeben. Sie haben eine Menge Phantasie, aber Sie benutzen sie kaum, wenn es um andere Leute geht.»Ich hielt einen Moment inne.
    « Ist das mein Verbrechen?», fragte meine Gefährtin.
    « Es ist nicht so sehr ein Verbrechen als vielmehr ein Laster», sagte ich,«und vielleicht nicht einmal so sehr ein Laster als eine Tugend. Ihr Verbrechen ist, dass Sie einem armen Teufel gegenüber, der Sie liebt, kalt wie Stein sind.»
    Sie lachte recht schrill auf. Ich frage mich, ob sie glaubte, ich meinte Johnson.
    « Für wen sprechen Sie, Mr Locksley?», fragte sie.
    « Kommen da so viele in Betracht? Für mich selbst.»
    « Wahrhaftig?»

    « Mehr als wahrhaftig.»
    « Wie lautet diese französische Wendung, die Sie immer benutzen? Ich denke, ich darf sagen: ‹Allons, donc!› »
    « Lassen Sie uns lieber unmissverständliches Englisch miteinander reden, Miss Blunt.»
    « ‹Kalt wie Stein› ist fraglos absolut unmissverständliches Englisch. Ich verstehe nicht ganz, in welchem Verhältnis die beiden Teile Ihres Satzes zueinander stehen. Welches ist der Hauptsatz und welches der Nebensatz – dass ich ‹kalt wie Stein› bin, wie Sie es nennen, oder dass Sie mich lieben, wie Sie es nennen?»
    « Wie ich es nenne? Wie soll ich es denn nennen? Um Himmels willen, Miss Blunt, seien Sie ernst, oder ich werde es noch ganz anders nennen. Ja, ich liebe Sie. Glauben Sie mir nicht?»
    « Ich lasse mich gern überzeugen.»
    « Gott sei Dank!», sagte ich. Dabei versuchte ich, ihre Hand zu ergreifen.
    « Nein, nein, Mr Locksley», sagte sie,«nicht jetzt, wenn es Ihnen recht ist.»
    « Taten sprechen eine lautere, eine deutlichere Sprache als Worte», sagte ich.
    « Sie brauchen weder deutlicher zu werden noch lauter zu sprechen. Ich verstehe Sie vollkommen. »

    « Aber flüstern werde ich sicher nicht», sagte ich,«auch wenn es, wie ich glaube, unter Liebenden der Brauch ist. Wollen Sie meine Frau werden?»
    « Auch ich werde nicht flüstern, Mr Locksley. Ja, ich will.»
    Und jetzt reichte sie mir die Hand. – Das ist das Gewichtige, von dem ich sprach.

    12. September. – Die Hochzeit soll binnen drei Wochen stattfinden.

    19. September. – Ich war eine Woche in New York, um einige geschäftliche Dinge zu erledigen. Gestern bin ich zurückgekommen. Ich stelle fest, dass hier alle über unsere Verlobung reden. Esther sagt, man habe schon vor einem Monat darüber geredet, und es herrsche allgemein Enttäuschung darüber, dass ich nicht reich sei.
    « Ich sehe wirklich nicht ein, warum andere enttäuscht sein sollen, wenn du es nicht bist», sagte ich.
    « Ich weiß nicht, ob du reich bist oder nicht», sagt Esther,«aber ich weiß, dass ich es bin.»
    « Tatsächlich! Mir war nicht bewusst, dass du über ein eigenes Vermögen verfügst», usw. usw.
    Diese kleine Posse wiederholt sich jeden Tag
in irgendeiner Form. Ich gebe mich ganz dem Müßiggang hin. Ich rauche eine Menge und lungere, die Hände in den Taschen, den lieben langen Tag herum. Ich bin befreit von jenem unbeschreiblichen Überdruss endlosen Gebens , den ich noch vor sechs Monaten empfunden habe. Damals wurde ich des Familienschmucks beraubt; und ich habe beschlossen, dass jedenfalls diese Verlobung nichts mit Gelddingen zu tun haben wird. Meine poetischen Vorstellungen wurden schon einmal enttäuscht; das wird mir kein zweites Mal passieren. Ich glaube, diese Gefahr ist nicht groß. Esther gibt mit vollen Händen aus. Sie kümmert sich eifrig um ihre schlichte Aussteuer – zeigt mir voller Triumph einige ihrer Einkäufe und macht ein großes Geheimnis um andere, von denen sie immer nur als« Tischtücher und Servietten»spricht. Gestern Abend sah ich, wie sie Knöpfe an ein Tischtuch annähte. Ich hatte schon eine Menge über ein gewisses graues Seidenkleid gehört, und heute Morgen kam sie, angetan mit diesem Kleidungsstück, zu mir. Es ist mit Samt besetzt und hat Rüschen, eine Schleppe und

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