Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
Vom Netzwerk:
Junggesellin, aus inbrünstiger Überzeugung ledig, und in den freimütig blickenden grauen Augen, die die Männer dazu verführten, die junge Dame zu bewundern, lag ein gewisser silbriger Schimmer, der ihnen zu hoffen verbot. Die Diana der Sage fand Gefallen an einem schönen Hirten, doch die leibhaftige hatte, schlafend oder wachend, ihren Endymion 4 noch nicht gefunden.
    Dank dieses abschreckenden Schimmers in den Augen zeigte sich die gefährliche Seite des Unternehmens unserer Heldin erst nach einiger Zeit – und auch dank der hervorragenden Eignung ihrer Gefährtin für ihre Aufgabe. Agatha Josling besaß eine nahezu quäkerhafte Reinheit und Würde; ein feuerspeiender Drache hätte keinen besseren Schutz bieten können als dieses glänzende graubrüstige Täubchen. Auch Geld schützt, und Diana hatte Geld genug, um sich Ruhe und Ungestörtheit zu erkaufen. Sie reiste weit durch die Lande und sah all die Kirchen und Gemälde, all die Schlösser und Landhäuser, die auf der Liste standen, welche die beiden
Freundinnen in abendlichen Gesprächen zu Hause im Schein zweier Wachskerzen erstellt hatten. Abends pflegten sie einander laut aus ‹Corinne› 5 und ‹Childe Harold› 6 vorzulesen, und sie führten ein gemeinsames Tagebuch, bei dem sie wie französische Bühnendichter«zusammenarbeiteten » 7 und in dem sich zahlreiche Zitate der erwähnten Autoren fanden. Dies ging ein Jahr so, dann wurden sie des Ganzen ein wenig überdrüssig. Eine behagliche Postkutsche war durchaus ein angenehmer Aufenthaltsort, aber sich Meilen von Gemälden anzusehen ermüdete den Rücken doch sehr. Souvenirs und Flitterkram unter ausländischen Arkaden zu kaufen war eine äußerst fesselnde Beschäftigung, aber die Gasthöfe waren in aller Regel grässlich zugig, und Flaschen mit heißem Wasser zum Wärmen der Füße hatten die unangenehme Eigenschaft, rasch lauwarm zu werden. Aus diesen und anderen Gründen beschlossen unsere Heldinnen, ein festes Winterquartier zu beziehen, und begaben sich zu diesem Zweck in die bezaubernde Stadt Nizza, die damals gerade erst begann, Berühmtheit zu erlangen. Sie war lediglich einer der hundert Weiler an der Riviera – ein Ort, wo die blauen Wellen sich an fast menschenleeren Stränden brachen und die
Olivenbäume direkt vor den Türen der Gasthöfe wuchsen. In jenen Tagen war Nizza italienisch, und die Promenade des Anglais existierte erst andeutungsweise. Doch sie existierte, und man konnte bereits kränkliche Briten, wenn auch in bescheidener Zahl, unter Londoner Schirmen vor der Kulisse des glitzernden und funkelnden Meeres in der Januarsonne spazieren gehen sehen. Unsere jungen Amerikanerinnen nahmen in aller Stille ihren Platz in dieser harmlosen Gesellschaft ein. Sie fuhren die Küste entlang durch die fremd anmutenden dunklen Fischerdörfer mit ihren dicht zusammengedrängten Häusern, und sie ritten auf Eseln zwischen den bewaldeten Hügeln umher. Sie malten Aquarelle und mieteten ein Klavier; sie schrieben sich bei der Leihbücherei ein und nahmen Unterricht in der Sprache Silvio Pellicos 8 bei einer alten Dame mit sehr schönen Augen, die eine riesige, von feinen Rissen durchzogene Malachitbrosche trug und sich als die Witwe eines römischen Exilanten ausgab.
    Sie pflegten zum Meer hinunterzuspazieren und sich dort hinzusetzen, jede ausgestattet mit einem Band aus der Leihbücherei, doch warfen sie kaum einmal einen Blick in ihre Bücher. Das Weiß der Seiten blendete im grellen Sonnenschein
zu stark, und die Leute, die vor ihnen gemächlich auf und ab schlenderten, waren viel unterhaltsamer als die Damen und Herren in den Romanen. Sie beobachteten sie unablässig unter ihren Sonnenschirmen hervor, und bald kannten sie alle vom Sehen. Viele der anderen Besucher Nizzas waren kränklich – sanftmütige, sich langsam bewegende Schwindsüchtige. Fänden Frauen nicht Gefallen daran, Mitleid zu üben, hätte ich gesagt, diese blassen Spaziergänger boten einen traurig stimmenden Anblick. Manche von ihnen weckten indes das Interesse unserer Freundinnen; sie beobachteten sie Tag für Tag; sie bemerkten Veränderungen in deren Gesichtsfarbe; sie hatten ihre Vorstellungen davon, wem es besser ging und wem schlechter. Allerdings unternahmen sie wenig, um Bekanntschaften zu machen – zum Teil, weil Lungenkranke nicht sehr redselig sind, zum Teil, weil dies auch Dianas Naturell entsprach. Die erklärte ihrer Freundin, sie seien nicht nach Europa gekommen, um Morgenbesuche abzustatten, sie

Weitere Kostenlose Bücher