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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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überhaupt alle modischen Extravaganzen.
    « Nur eines spricht dagegen», sagte Esther, während sie vor dem Spiegel in meinem Atelier
hoheitsvoll auf und ab schritt.«Ich fürchte, es ist zu vornehm für uns.»
    « Bei Gott, ich werde dich darin malen», sagte ich,«und damit ein Vermögen machen. Alle anderen Männer, die hübsche Frauen haben, werden sie herbringen, um sie malen zu lassen.»
    « Du meinst, all die Frauen, die hübsche Kleider haben», sagte Esther mit großer Bescheidenheit.
    Unsere Trauung ist auf den nächsten Donnerstag festgesetzt. Ich sage zu Esther, unsere Trauung werde so bescheiden, unsere Ehe dafür aber so erfüllt wie möglich sein. Lediglich ihr Vater und ihre gute Freundin, die Schullehrerin, werden zugegen sein. – Mein Geheimnis belastet mich beträchtlich, aber ich habe beschlossen, es bis zu den Flitterwochen zu wahren; dann erledigt es sich vielleicht von selbst. Ich werde von der unheilvollen Ahnung verfolgt, die ganze Sache wäre à refaire 27 , käme Esther jetzt dahinter. Ich habe Zimmer in einem zehn Meilen entfernten romantischen kleinen Seebad namens Clifton reserviert. Im Hotel halten sich kaum noch Leute aus der Stadt auf, wir werden also fast allein sein.

    28. September. – Wir sind jetzt seit zwei Tagen hier. Die kleine Zeremonie in der Kirche ging reibungslos vonstatten. Mir tut der Kapitän aufrichtig leid. Wir sind gleich danach hierhergefahren und in der Dämmerung im Hotel angekommen. Es war ein unwirtlicher, trüber Tag. Wir haben zwei schöne Zimmer nahe der stürmischen See. Dennoch fürchte ich, einen Fehler gemacht zu haben. Es wäre vielleicht klüger gewesen, ins Landesinnere zu gehen. Diese Dinge sind nicht unwesentlich: Wir schaffen uns unseren eigenen Himmel, aber nur selten unsere eigene Erde. Ich schreibe an einem kleinen Tisch am Fenster und schaue auf die Felsen, die einbrechende Dunkelheit und den aufsteigenden Nebel hinaus. Meine Frau ist zu dem Felsplateau vor dem Haus hinunterspaziert. Ich kann sie von hier aus sehen, barhäuptig, das alte karminrote Umschlagtuch um die Schultern und im Gespräch mit einem der kleinen Jungen des Gastwirts. Sie hat dem kleinen Kerl gerade einen Kuss gegeben, die gute Seele! Ich erinnere mich, dass sie mir einmal sagte, sie möge kleine Jungen sehr, und mir ist in der Tat aufgefallen, dass sie ihr selten zu schmutzig sind, um sie auf den Schoß zu nehmen.
    Ich habe diese Seiten zum ersten Mal seit – ich
weiß nicht, seit wann – durchgelesen. Sie sind von ihr erfüllt – in Gedanken noch mehr als in Worten. Ich denke, ich werde sie ihr zeigen, wenn sie hereinkommt. Ich werde ihr die Aufzeichnungen zu lesen geben und mich zu ihr setzen und ihr Gesicht beobachten – beobachten, wie sie allmählich hinter das große Geheimnis kommt.

    Später. – Irgendwie wird es mir gelingen, dies einigermaßen ruhig niederzuschreiben; aber ich glaube kaum, dass ich noch einmal etwas schreiben werde. Als Esther hereinkam, reichte ich ihr diese Aufzeichnungen.
    « Ich möchte, dass du das liest», sagte ich.
    Sie wurde ganz blass und legte das Tagebuch mit einem Kopfschütteln auf den Tisch.«Ich kenne es, ich weiß Bescheid», sagte sie.
    « Was weißt du?»
    « Dass Sie hunderttausend im Jahr haben. Aber glauben Sie mir, Mr Locksley, es schadet nichts, dass ich das weiß. Sie haben an einer Stelle in Ihren Aufzeichnungen angedeutet, ich sei für Reichtum und Prunk geboren. Ich glaube, das stimmt. Sie geben vor, Ihr Geld zu hassen, aber ohne es hätten Sie mich nicht bekommen. Wenn Sie mich wirklich lieben – und ich glaube, das tun Sie –, werden Sie nicht zulassen, dass
sich etwas ändert. Ich bin nicht so töricht, versuchen zu wollen, hier über meine Gefühle zu sprechen. Aber ich erinnere mich genau an das, was ich gesagt habe.»
    « Was erwartest du von mir?», fragte ich.«Soll ich dich beschimpfen und verstoßen?»
    « Ich erwarte, dass Sie den gleichen Mut beweisen wie ich. Ich habe nie behauptet, dass ich Sie liebe. In dieser Hinsicht habe ich Ihnen nie etwas vorgemacht. Ich sagte, ich würde Ihre Frau sein. Das will ich auch, treu und ergeben. Ich habe nicht so viel Herz, wie Sie glauben, aber andererseits doch eine ganze Menge. Zu mehr als einer Täuschung bin ich nicht fähig. – Du lieber Himmel! Haben Sie es nicht bemerkt? Haben Sie es nicht gewusst? Bemerkt, dass ich es entdeckt habe? Gewusst, dass ich es wusste? Wir beide standen uns in nichts nach. Sie haben mich getäuscht, ich habe Sie getäuscht.

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