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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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jedwede elterliche Hoffnung auf eine«Laufbahn»Frank Testers ganz und gar eitel war. Der alte Sir Edmund hatte gedacht, die Ehe würde seinen Sohn vielleicht läutern, doch dazu bedurfte es eines unerbittlicheren Schicksals, und dieses ereilte ihn eines Tages in Monaco – er verbrachte die meiste Zeit im Ausland – nach einer Krankheit, die einen so raschen Verlauf nahm, dass keiner aus der Familie rechtzeitig eintraf. Er wurde ein für alle Mal bekehrt, er schied für immer dahin. Der zweite Sohn, der nun seinen Platz einnahm, war eine derartige Verbesserung, dass man unmöglich die Vortäuschung großer Trauer erwarten konnte. Sie haben ihn gesehen, Sie wissen, wie er ist, er
hat kaum etwas Geheimnisvolles an sich. Da ich Ihnen diese Zeilen nie zeigen werde, schadet es niemandem, wenn ich hier schreibe, dass er ein bemerkenswert attraktiver Mann ist – oder jedenfalls war. Ich sage das nicht, weil er mir den Hof gemacht hätte, sondern weil er ihn mir gerade nicht gemacht hat. Er war immer in jemand anderen verliebt – meistens in Lady Vandeleur. Sie mögen sagen, das sei in England für gewöhnlich kein Hinderungsgrund; aber auch wenn es bei Mr Tester zwischen zwei Liebschaften kaum einmal eine Pause gab, hatte er doch in der Regel nie zwei gleichzeitig. Er hatte keine zweite Liebste in der Hinterhand, die, wie man hier sagt, gleichsam als«zweite Besetzung»hätte einspringen können. Er pflegte mich über den Stand seines Gefühlslebens eingehend auf dem Laufenden zu halten – diesbezüglich blieb er nicht im Geringsten vage. Wenn er verliebt war, dann wusste er es und frohlockte darüber, war er es wie durch ein Wunder einmal nicht, bedauerte er es zutiefst. Er ließ sich mir gegenüber des Langen und Breiten über die Reize anderer Leute aus, was für mich viel interessanter war, als wenn er versucht hätte, das Gespräch auf meine eigenen zu lenken, über die ich mir keinerlei Illusionen machte. Er erzählte
mir einige sonderbare Dinge, und ich darf wohl sagen, dass ich eine beträchtliche Zeit lang mein wertvollstes Wissen über die englische Gesellschaft diesem lebensfrohen jungen Mann verdankte. Ich vermute, er sah in mir eine Frau, die ihm in der Regel gute Ratschläge erteilte, denn fest steht, dass er mich in sehr ungewöhnlichen Misslichkeiten eindringlich um weisen Beistand bat. In jüngeren Jahren steckte er fortwährend in Schwierigkeiten; er tappte in Fettnäpfchen, wie Kinder in Pfützen tappen. Er forderte sie heraus, er zog sie an; und erzählte er einem dann, wie er in die Bredouille geraten war (und er erzählte immer die ganze Wahrheit), vermochte man kaum zu glauben, dass ein Mann so dumm sein konnte.
    Und doch war er keineswegs ein Dummkopf; er stand in dem Ruf, sehr klug zu sein, und fraglos ist er sehr schlagfertig und unterhaltsam. Er war lediglich unbekümmert und ungewöhnlich natürlich, so natürlich, als wäre er ein Ire. In der Tat ist er von allen Engländern, die ich kennengelernt habe, der mit dem irischsten Naturell (auch wenn es sich in letzter Zeit weitgehend verloren hat). Ich pflegte zu ihm zu sagen, es sei ein Kreuz, dass er nicht mit irischem Akzent spreche, denn dann wären wir
gewarnt und wüssten, mit wem wir es zu tun haben. Darauf erwiderte er, wäre er irisch genug, um einen irischen Akzent zu haben, wäre er umgekehrt wahrscheinlich Engländer – was mir eine wunderbar typische Antwort für ihn schien. Wie die meisten jungen Briten seines Standes ging er, noch ehe er zwanzig war, nach Amerika, um dieses großartige Land kennenzulernen, und er hatte einen Brief an meinen Vater dabei, der Gelegenheit hatte, ihm, natürlich à propos neuerlicher Misslichkeiten, einen beträchtlichen Dienst zu erweisen. Dies führte dazu, dass er mich nach seiner Rückkehr aufsuchte – ich lebte damals bereits seit drei oder vier Jahren hier; und dies wiederum führte dazu, dass wir, im Laufe der Zeit, enge Freunde wurden, ohne dass es, wie ich schon sagte, je auch nur die geringste Liebelei zwischen uns gegeben hätte. Aber ich darf das nicht allzu sehr beteuern, sonst errege ich noch Ihren Verdacht.« Wenn er so vielen Frauen den Hof gemacht hat, warum sollte er dann Ihnen nicht auch den Hof gemacht haben?» – irgendeine Frage dieser Art werden Sie wahrscheinlich stellen. Ich habe sie bereits beantwortet:«Just all dieser Verpflichtungen wegen.»Er konnte schließlich nicht allen den Hof machen, und in meinem Fall hätte er
nicht das Geringste davon gehabt. Seine Schwäche

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