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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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mehr noch als Ambrose Tester war sie ein Mensch, für den ein gutes Gewissen unerlässlich war, um glücklich sein zu können. Ich sollte fast sagen, ein gutes Gewissen allein machte sie schon glücklich, und ohnehin maßten sich nur Leute, die sie nicht kannten, an, geringschätzig von ihr zu sprechen. Hatte man die Ehre ihrer Bekanntschaft, konnte man sie zunächst für recht überzeugt von ihrer Schönheit und hoheitsvollen Eleganz halten, aber man spürte unweigerlich, dass ihre Natur sie von niedrigen Verirrungen abhielt. Da ihr Gatte gar so ein Schwächling war, muss sie es doppelt stark empfunden haben, dass es um ihre Ehre ging. Einen Mann wie ihn zu betrügen bedeutete, ihn noch lächerlicher zu machen, als er es ohnehin schon war, und davor wäre eine Frau, die seinen Namen trug, sehr wahrscheinlich zurückgeschreckt. Viellei cht wäre
es für Lord Vandeleur, der all den Dünkel seines Standes, aber nichts von dessen Liebenswürdigkeit besaß, schlimmer gewesen, wenn er ein besserer oder zumindest klügerer Mann gewesen wäre. Benimmt eine Frau sich so untadelig, muss sie nicht auf der Hut sein, schließlich braucht man nicht auf den äußeren Schein zu achten, wenn man selbst eine Erscheinung ist. Lady Vandeleur duldete Ambrose Testers Aufmerksamkeiten, und weiß der Himmel, sie waren durchaus zahlreich; sie wirkte dabei jedoch so vollkommen gleichmütig, dass niemand sich vorstellen konnte, sie sei dafür empfänglich. Sie ließ sich beweihräuchern, aber man sah sie ganz gelassen zwischen den Schwaden sitzen. Jene Ehre ihrer Bekanntschaft, von der ich eben sprach, war mir zuteilgeworden; das heißt, ich begegnete ihr ein Dutzend Mal in der Saison inmitten einer erhitzten Menge, und wir lächelten freundlich und murmelten ein oder zwei nichtssagende Fragen, ohne die Antwort der anderen in dem Gedränge zu verstehen oder uns auch nur zu bemühen, sie zu verstehen. Ich wusste, dass Ambrose Tester in ihrem Haus ein und aus ging und sich stets mit ihr absprach, damit sie die Einladungen zu den gleichen Gesellschaften annahmen, doch ich habe meine Zweifel, ob sie ihrerseits
wusste, wie häufig er mich besuchte. Ich glaube nicht, dass er es ihr erzählte, und dabei ist mir bewusst, dass dies auf eine engere Beziehung hindeutete (mit ihr, meine ich).
    Ich bezweifle auch sehr, dass er sie bat, sich für ihn nach einer künftigen Lady Tester umzusehen. Er war so freundlich, diese Bitte an mich zu richten; doch ich erklärte, ich wolle nichts mit der Sache zu tun haben. Ich bin froh, sagen zu können, dass mich keine Schuld trifft, wenn Joscelind unglücklich ist. Ich habe für zwei oder drei amerikanische Mädchen englische Ehemänner gefunden, englische Ehefrauen zu beschaffen ist jedoch etwas ganz anderes. Ich weiß, welche Art von Männern Frauen gefällt, aber man müsste schon sehr klug sein, um zu wissen, welche Art von Frauen Männern gefällt. Ich sagte Ambrose Tester, er müsse sich selbst umschauen, doch trotz seines Versprechens war ich nicht sehr überzeugt, dass er auch tatsächlich etwas in diese Richtung unternehmen würde. Ich glaubte, der alte Baronet würde dahinscheiden, ohne die Geburt einer neuen Generation zu erleben; als ich dies allerdings Mr Tester gegenüber andeutete, antwortete er mir sinngemäß (es war nicht ganz so grob formuliert), sein Vater, so alt er auch sei, werde durchhalten, bis
sein Befehl befolgt werde, und werde er nicht befolgt, so hielte er trotzdem durch.«Oh, er wird mich noch dazu bringen, klein beizugeben » – ich erinnere mich, dass Ambrose Tester das gesagt hat. Ich habe ihm unrecht getan, denn sechs Monate später erzählte er mir, er sei verlobt. Es war alles ganz schnell gegangen. Von einem Tag auf den anderen war die richtige Frau gefunden. Ich habe vergessen, wer sie fand; irgendeine Tante oder Kusine, glaube ich; es war jedenfalls nicht der junge Mann selbst gewesen. Doch als sie gefunden war, zeigte er sich der Lage gewachsen; er fand ernsthaft Gefallen an der jungen Frau, er akzeptierte sie voll und ganz, und ich bin mir nicht sicher, ob er sich nicht ein wenig in sie verliebte, so lächerlich (verzeihen Sie meinen Londoner Ton) ein solcher Zufall auch scheinen mag. Er erzählte mir, sein Vater sei entzückt, und hinterher wurde mir klar, dass er allen Grund dazu hatte. Ich sah das Mädchen erst einige Wochen später, hatte aber inzwischen den besten Eindruck von ihr gewonnen, und dieser Eindruck beruhte – wie sollte es anders sein – hauptsächlich

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