James, Henry
war, dass sie jetzt nicht mehr so häufig stattfanden.
Meine Erzählung nähert sich dem Ende, denn ich fürchte, Sie verlieren allmählich die Geduld
mit der Geschichte dieses liebenswürdigen wetterwendischen Burschen. Ein weiteres Jahr ging ins Land, und die Manuskripte des Professors waren in große Stapel geordnet und beinahe druckfertig. Benvolio hatte stets seinen Teil zu der Arbeit beigetragen und sie außerordentlich interessant gefunden, galt es doch, Erkundigungen und Nachforschungen der anregendsten und lohnendsten Art anzustellen. Scholastica war sehr glücklich. Ihr Freund ließ sich oft tagelang nicht blicken, und sie wusste, dass er in dieser Zeit das Leben der feinen Welt führte; aber sie hatte gelernt, dass das Pendel zurückschwang, wenn sie nur geduldig wartete, und er wiederkam und sich erneut in ihre Bücher, Papiere und Gespräche vertiefte. Und ihre Gespräche, dessen können Sie gewiss sein, drehten sich nicht allein um Fachfragen; sie berührten alles, was ihnen in den Sinn kam, und Benvolio fühlte sich keineswegs verpflichtet, sich über jenes Treiben der mondänen Welt in Schweigen zu hüllen, von dem seine Gefährtin eigentlich gar nichts wissen wollte. Er zog sie als Dichter ins Vertrauen und las ihr alles vor, was er seit seiner Rückkehr aus Italien geschrieben hatte. Je mehr er arbeitete, desto mehr verlangte es ihn danach, zu arbeiten; und so war er damals, obgleich sehr
beschäftigt mit der Herausgabe der Manuskripte des Professors, auch was sein eigenes Schaffen anging, produktiver denn je. Er schrieb ein weiteres Drama, diesmal über ein italienisches Sujet, das mit großartigem Erfolg aufgeführt wurde; und dieses Werk besprach er Szene um Szene, Dialog um Dialog mit Scholastica. Er schlug ihr vor, der Aufführung in einer geschlossenen Loge beizuwohnen, wo sie vor neugierigen Blicken vollkommen geschützt wäre. Einen Augenblick lang schien sie der Macht der Verlockung zu erliegen; dann schüttelte sie mit einem aufrichtigen Lächeln den Kopf und sagte, das werde sie besser seinlassen. Das Stück war der Gräfin gewidmet; sie hatte ihm das Sujet in Italien vorgeschlagen, wo ihr die Geschichte als Familienanekdote von einer ihrer betagten Prinzessinnen erzählt worden war.
Dieses unbeschwerte, fruchtbare, vielschichtige Leben hätte ewig so weitergehen können, wären nicht zwei äußerst bedauerliche Ereignisse eingetreten. Hätte so weitergehen können, sage ich; Sie bemerken, ich behaupte nicht, dem sei so gewesen. Scholastica verlor ihren Seelenfrieden; ein heimlicher Verdruss quälte sie. Sie versuchte ihn so gut sie konnte vor ihrem Freund zu verbergen, was ihr durchaus gelang; denn obwohl
er etwas argwöhnte und sie danach fragte, überzeugte sie ihn davon, dass er sich alles nur einbildete. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch keineswegs um Einbildung, sondern um die äußerst unerfreuliche Tatsache, dass ihr niederträchtiger alter Onkel, der Geizhals, ihr ein schrecklicher Stachel im Fleisch war. Zu Benvolio hatte er gesagt, sie könnte tun, was sie wollte, doch unlängst hatte er dieses liebenswürdige Zugeständnis widerrufen. Er hatte ihr eines Tages in einer mit einem stumpfen Bleistift auf die Rückseite eines alten Briefes gekritzelten unleserlichen Notiz mitgeteilt, ihr mittelloser Freund, der Dichter, komme sie viel zu oft besuchen, und er habe beschlossen, dass sie nie einen hirnrissigen Reimschmied heiraten werde, weshalb sie, bevor das Opfer gar zu schmerzlich werde, die Güte haben möge, Mr Benvolio den Laufpass zu geben. Dies wurde von einer unmissverständlichen und nicht sehr freundlichen Andeutung begleitet, dass er seine Geldbeutel nur für jene öffne, die sich seiner unvergleichlichen Weisheit beugten. Scholastica war arm, unerfahren und einsam; aber dennoch hatte sie ihren Stolz, ihren schüchternen, unausgesprochenen Stolz, und sie empfand die an diese Bedingung geknüpfte Mildtätigkeit ihres Onkels
als bittere Kränkung. Sie teilte ihm mit, sie danke ihm für seine Großzügigkeit in der Vergangenheit, doch sie werde ihm nicht länger zur Last fallen. Sie sagte sich, dass sie ja arbeiten konnte; sie besaß eine vorzügliche Bildung; viele Frauen, das wusste sie, sorgten selbst für ihren Lebensunterhalt. Sie fand die Vorstellung sogar beflügelnd, in die Welt hinauszugehen, von der sie so wenig wusste, und dort ihr Glück zu suchen. Allerdings wollte sie ihre Situation unbedingt vor Benvolio geheim halten und verhindern, dass er erfuhr,
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