Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
LSD-Synthese und weitere bahnbrechende Dokumente, keines behandelte jedoch den Aspekt der vorsätzlichen Drogenvergiftung.
In den Sechzigerjahren hatte ein wissenschaftlicher Klimawechsel stattgefunden. Ich studierte damals und war zu sehr auf das Studium fixiert, um in der Freizeit an eine Entspannung durch Drogen zu denken. Ich erinnerte mich daran, wie Leary, Alpert und andere begannen, Drogen als philosophische, religiöse und politische Errungenschaft zu definieren, auch an den massenhaften, von einer Droge zur anderen wechselnden Rauschgiftkonsum, der sich zwangsläufig ergab, wenn die falschen Leute zuhörten.
Die Artikel aus den Sechzigerjahren riefen diese Erinnerungen in mir wach, dramatische Tagebücher in der trockenen Prosa klinischer Fallbeschreibungen: Rauschgiftsüchtige, die sich mit ausgebreiteten Armen aus dem zehnten Stock in die Tiefe stürzten, weil sie sich für Ikarus hielten, die nackt über die Autobahn liefen, die ihre Arme in Kesseln mit kochendem Wasser verbrühten, Orgien der Selbstzerstörung.
Als sich dann Psychiater und Psychotherapeuten der Sache annahmen und Therapien für Drogensüchtige entwickelten, verschwanden Abhandlungen von wissenschaftlichem Wert aus der Fachliteratur. Trotzdem geisterte die Furcht, dauerhafte psychische Schäden zu erleiden, bei den gesunden Drogenkonsumenten herum, Forschungen darüber gerieten jedoch bald in Vergessenheit. Substanzen, die Halluzinationen hervorrufen, hielt man nur bei Grenzfällen oder bei Personen mit schwacher »Ich-Ausprägung« für gefährlich. Vor LSD wurde am häufigsten gewarnt, aber auch vor anderen Drogen: Amphetamin, Barbiturat und bewusstseinsverändernde Stoffe wie DMT, mit dem sich Geschäftsleute um die Mittagszeit aufmöbelten, weil ihnen dadurch ein unmittelbarer, intensiver Trip zwischen fünfundvierzig Minuten und zwei Stunden garantiert wurde.
Zwei Erfahrungen, die man mit DMT gemacht hatte, interessierten mich besonders: Manchmal dauerte die Mittagspause länger als erwartet - erwähnt wurden schlimme Trips, die bis zu fünf Tagen dauerten -, und anders als bei LSD ließen sich die Wirkungen durch den Zusatz von Thorazin oder anderen phenothiazinhaltigen Beruhigungspillen verstärken. Ich erinnerte mich an Jameys ungewöhnliche Reaktion auf die Medikamente, an die ständigen Schwankungen, die Mainwaring verwirrt und frustriert hatten, und fragte mich, ob sie auch durch eine Potenzierung von Mitteln verursacht worden waren.
Wenn man ihn durch eine Überdosis DMT vergiftet hatte, würde zusätzliches Thorazin seinen Zustand eher verschlimmert als verbessert haben. Aber DMT war für eine vorsätzliche chemische Beeinflussung, wie Jennifer sie unterstellte, in seiner Wirkung zu unberechenbar.
Beim Weiterlesen stieß ich auf Abhandlungen über Haschisch, Psilocybin, Meskalin und seltsame Mischungen dieser Substanzen mit LSD und DMT, die als STP bekannt wurden. Besonders interessant fand ich die Fallsammlung einer medizinischen Forschungsgruppe der Universität von San Francisco. Sie beschrieb STP als eine Art biochemisches russisches Roulette und erwähnte, dass es die gebräuchlichste Droge auf den Partys von Motorradbanden war. Es erfreute sich jedoch nur kurzer Beliebtheit, weil seine Wirkung für die Lederfreunde zu flüchtig war. Wieder Motorradfahrer. Das ging mir eine Zeit lang im Kopf herum, brachte aber nichts ein.
In der Fußnote einer Buchbesprechung aus dem Jahr 1968 wurde eine Droge mit der Bezeichnung Sernyl erwähnt, ein kurz wirksames Betäubungsmittel, das von Parke entwickelt wurde. Davis machte damit Feldversuche für militärische Zwecke, brach sie jedoch ab, weil der Stoff in Überdosis erhebliche Verwirrungszustände hervorrief.
Eine Vergiftung durch Sernyl ergab ähnliche Symptome wie eine akute Schizophrenie, auch diese Droge führte zu Geräusch-Halluzinationen. Wie der Autor schrieb, waren die Wirkungen so schrecklich - sie verursachten häufig eine Todesangst vor dem Ertrinken oder vor anderen furchtbaren Dingen -, dass er dieser Substanz ihre Eignung zu medizinischer Nutzung absprach. Zehn Jahre später wurde Sernyl anfangs unter den Namen Keiler, Kristall, DOA, Engelstaub oder PCP bekannt und diente hauptsächlich in den innerstädtischen Gettos als Entspannungsdroge. So weit die Fachliteratur.
An PCP hatte ich zuerst gedacht, als ich Jameys Gestammel am Telefon hörte und anschließend Weiteres über seine Symptome erfuhr, die einiges mit den klassischen Reaktionen auf diesen Stoff
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