Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

können«.
    Kontrolle durch den Menschen.
    Mit Herzklopfen las ich weiter:
    »Diese Kontrollmöglichkeiten sind darauf zurückzuführen, dass Brugmansia -Pflanzen dazu neigen, spontane Mutationen hervorzubringen, die problemlos zu vermehren sind, indem man ein Aststück in feuchte Erde steckt: Die Prozedur ist so einfach, dass sie auch von einem kleinen Kind erfolgreich durchgeführt werden könnte.
    In den Tälern zu Fuße der Anden habe ich entdeckt, dass dort seltsam verformte Abarten dieser Gattung weit verbreitet sind, einige davon sind so missgestaltig, dass jede Ähnlichkeit mit der Mutterpflanze abhanden gekommen ist. Beachtlich ist, dass jede dieser Abweichungen individuelle und voraussehbare Auswirkungen auf das Nervensystem hat, die zweifellos auf minimalen Unterschieden in ihrer chemischen Struktur beruhen. Die Nutzung dieser Arten ist nicht auf einen Stamm beschränkt. Die Chibcha, die Choko, die Qechua und die Jivaro sind nur einige Stämme, die sie fachkundig verwenden konnten (der Kontakt untereinander wurde durch ihre Sicherheitsbedürfnisse verhindert).
    Die Indianer verwenden diese Abarten für sehr unterschiedliche Zwecke. Eine davon wird benutzt, um widerspenstige Kinder zu besänftigen. Sie werden gezwungen, einen Wasseraufguss der Samen zu trinken. In dem darauf folgenden Trancezustand hören sie die ermahnenden Stimmen längst verstorbener Vorfahren. Einer anderen Art wird nachgesagt, dass sie in Gräbern verborgene Schätze offenbaren kann; mit anderen bereiten sich Krieger auf einen Kampf vor, ihnen erscheinen dann die entkräfteten Gesichter derer, die sie besiegen wollen. Ich habe dies nicht selbst gesehen, aber mir ist berichtet worden, dass ein besonders wilder Stamm eine Abart der Brugmansia aurea dazu benutzte, Frauen und Sklaven gefallener Krieger zu betäuben, sodass sie sich duldsam und ohne Gegenwehr mit ihrem Herren lebendig begraben ließen.
    Diese Abarten unterscheiden sich in ihrer Wirksamkeit, und die Schamanen jedes Stammes wissen genau, welche schwach und welche stark wirken. Der Grad des Wissens dieser so genannten Primitiven über die Manipulation des menschlichen Verstandes durch gezielte Verabreichung alkaloidhaltiger Gifte ist in der Tat höchst bemerkenswert.«
    Ich legte das Buch weg. Mir war flau im Magen, und mir fröstelte. Vor mehr als einem Jahr war ich in ein Treibhaus des Schreckens geraten, konfrontiert mit Furcht erregenden Spielarten der Natur, die ein Verrückter als Rache gegen sein Schicksal gezüchtet hatte. Nun stand ich wieder der Natur in einer ihrer abartigen Erscheinungsformen gegenüber. Meine Gedanken wurden durch das Geräusch von Schritten unterbrochen, die sich näherten. Ich sah Jennifer mit einem Stapel Bücher im Arm die Treppen herabsteigen und auf das Regal zusteuern, in dem ich Shinners-Vrees Buch gefunden hatte.
    »Hallo«, rief ich ihr zu, sie fuhr zusammen und ließ die Bücher auf den Boden fallen. Mit der Hand auf dem Herzen, mit aufgerissenen Augen und bleich vor Schrecken wandte sie sich um.
    »Oh.« Sie atmete tief durch. »Alex, Sie haben mich erschreckt.«
    »Tut mir Leid«, sagte ich, stand auf und ging zu ihr. »Ist es jetzt wieder gut?«
    »Ja«, antwortete sie hastig.
    Ich bückte mich und hob die Bücher auf.
    »Das war blöd von mir, so zu erschrecken«, sagte sie. »Es ist so gespenstisch hier unten.« Sie lachte nervös. »Als wenn wir die einzigen Menschen wären, die seit einem Zeitalter hier runtergekommen sind.«
    »Vermutlich sind wir das auch, wonach haben Sie denn gesucht?«
    »Nach einem alten botanischen Buch. Ich habe was entdeckt, und das Buch ist die Originalquelle.«
    »Folgen Sie mir«, sagte ich und ging mit ihr in den Leseraum. Nachdem ich ihre Bücher hingelegt hatte, hob ich den dicken Leinenband hoch.
    »Suchen Sie den?«
    Sie nahm ihn und blätterte die dicken Seiten um.
    »Ja.«
    »Sie sind nicht zufällig durch einen Hinweis in einer Monografie der Stanford-Universität darauf gestoßen? McAllister, 1972?«
    Sie sah mich erstaunt an, zog ein dünnes Bändchen aus ihrem Bücherstapel, öffnete es und las laut:
    »Die Verwendung von anticholinergischen Alkaloiden in Kräutern für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung: Die Brugmansia -Rituale der Indianer des Sibondoytals, Südkolumbien. McAllister, Levine und Palmer. Woher wussten Sie das?«
    »Aus einer Fußnote in einer Abhandlung über chemische Kriegführung. Und Sie?«
    »Aus einem Hinweis in einer anthropologischen Zeitschrift