Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
sind grundsätzlich kurzlebig. Jemand müsste ihn ständig mit LSD gefüttert haben, um ihn fortwährend in diesem wirren Zustand zu halten. Das wäre fast nur mit einem Dauertropf zu erreichen.«
»Das wäre in einer Klinik möglich.«
»Aber doch nicht im Gefängnis.«
Sie schwieg unbeeindruckt, riss ein Blatt Papier von ihrem Schreibblock ab und begann zu schreiben.
»Ich stelle jetzt alle unsere Einwände in einer Liste zusammen. Einverstanden?«
»Einverstanden. Selbst wenn wir nachweisen könnten, dass er in der Nacht, als Chancellor ermordet wurde, unter der Wirkung von Drogen stand, gibt es praktische Beweise für seine Beteiligung an sechs anderen Morden. Wurde er vorher immer unter Drogen gesetzt, bevor man ihn an die Tatorte brachte? Dann gibt es noch das Problem mit seiner Flucht. Wie gelangte er von Canyon Oaks zu Chancellors Villa? Selbst wenn er unter Drogen stand, müsste er in dieser Nacht bewusst gehandelt haben.«
Sie machte sich weitere Notizen und sah dann auf.
»Was verstehen Sie unter praktischen Beweisen?«
»Ich kenne keine Einzelheiten«, sagte ich, ohne das lavendelfarbige Kleid von Heather Cadmus zu erwähnen.
»Wenn es sich um Fingerabdrücke handelt, können die beliebig abgenommen und wieder aufgebracht werden. Solche Beweise sind nicht sehr zuverlässig. Ich habe Literatur über Gerichtsmedizin gelesen, sie ist lange nicht so wissenschaftlich fundiert, wie die Leute es gern glauben möchten. Wenn zwei Sachverständige das gleiche physikalische Beweismittel untersuchen würden, könnten dabei zwei völlig entgegengesetzte Ergebnisse herauskommen.« Sie lächelte spitzbübisch. »Das Gleiche gilt für Psychos.«
Ich lachte.
»Und was seine Flucht angeht«, fuhr sie fort, »wenn es nun gar keine gewesen wäre? Nehmen Sie einmal an, jemand hätte eine Flucht nur vorgetäuscht, ihn aus der Klinik entführt und zu Chancellor gebracht.«
Mir fiel der neue Mustang von Andrea Vann ein, und ich begann, darüber nachzudenken. Wenn die Flucht in Wirklichkeit eine Entführung war, warum hatte man Jamey dann mit mir telefonieren lassen?
»Kommen wir auf die Unvereinbarkeit der Symptome von Drogentrips und Psychosen zurück«, sagte Jennifer und wandte sich wieder ihren Notizen zu. »Sie haben Recht, was LSD und die meisten Stoffe angeht, die Halluzinationen erzeugen. Aber das gilt nicht für andere Substanzen, solche, die lang andauernde Verwirrungszustände und eine Verzerrung des Gehörsinns bewirken.«
»Und die man einfach und heimlich verabreichen kann«, fügte ich hinzu. »Oral oder durch Injektionen. Und die durch gebräuchliche Tests nicht nachzuweisen sind. Sie beschreiben die perfekte biochemische Tarnung.«
Sie nickte mir enthusiastisch zu.
»Genau!«
»Haben Sie irgendwelche Vorstellungen?«
»Nein, ich hoffte, Sie könnten mir das sagen.«
»Mir fällt dazu nichts ein«, erwiderte ich. »Aber ich bin kein Experte für Psychopharmaka.«
»Das ist aber eine nähere Untersuchung wert«, sagte sie und sah mir tief in die Augen. »Ich habe Zeit genug, wie steht es mit Ihnen?«
Ich dachte einen Moment nach.
»Abgemacht«, antwortete ich.
»Toll!«
Wir gingen am naturwissenschaftlichen Gebäudekomplex vorbei zum Zentrum der Medizinischen Fakultät.
Es war mittlerweile halb acht, und der Campus belebte sich gerade mit schnaufenden Joggern, geistesabwesenden Graduierten, zukünftigen Ärzten und Zahnärzten, beladen mit vollen Aktentaschen und Zweifeln an sich selbst. Abgesehen von der darin liegenden Verrücktheit war es ein Morgen, der die Leute magisch nach Los Angeles zog; die Luft war meeresfrisch und kühl, über uns wölbte sich ein tiefblauer Himmel. Jennifer hüllte sich in ihren Umhang und plauderte angeregt.
»Zuerst habe ich mich der Sache rein verstandesgemäß genähert. Könnte man einen Menschen durch rein psychologische Praktiken seelisch durcheinander bringen?«
»Etwa durch Gehirnwäsche?«
»Ja, aber sehr extrem, bis an die Grenzen einer ernsthaften seelischen Störung. So wie es Charles Boyer bei Ingrid Bergman in Gaslicht versucht hat. Das ist aber nur Kino. Wahrscheinlich würde das im wirklichen Leben keinen Erfolg haben, Stress allein wird nicht genügen. Denken Sie mal an die schlimmste Belastung, die Menschen je erdulden mussten, an die Konzentrationslager der Nazis.« Sie schloss einen Moment die Augen. »Mein Vater war in seiner Jugend in Auschwitz, er und manche seiner Freunde haben überlebt. Ich habe mit ihnen darüber gesprochen.
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