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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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nun mit den Stimmen, die er hörte, kämpfte gegen Dämonen, die ihn in ihre Gewalt zu bringen drohten, bis seine Worte in schrecklichem Geheul und verzweifeltem Schluchzen untergingen. Ich war unfähig, den Strom seiner Wahnbilder aufzuhalten, und so blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten. Mein Herz klopfte heftig, ich fröstelte trotz der Wärme, die im Zimmer herrschte.
    Jameys Flüstern ging jetzt in ein schnelles, rasselndes Atmen über. Ich versuchte, sein Schweigen zu nutzen, um ihn in die Wirklichkeit zurückzuholen.
    »Wo ist dieser gläserne Canyon? Sag es mir genau, Jamey!«
    »Glas und Stahl und Kilometer Röhren. Schlangenlinien. Gummischlangen und Gummiwände. Verdammte weiße Zombies schmeißen Leichen von der Mauer, spielen mit Nadeln …«
    Es dauerte eine Weile, bis ich verstanden hatte, wovon Jamey sprach.
    »Bist du in einer Klinik?«
    Er antwortete mit hohlem Gelächter. »Sie nennen das so!«
    »Welches Krankenhaus ist es?«
    Canyon Oaks.
    Ich kannte das Haus, eine exklusive Privatklinik, vom Hörensagen. Ich war erleichtert. Zumindest hatte Jamey sich die Überdosis nicht in irgendeinem dunklen Hinterhof gesetzt.
    »Wie lange bist du da schon?«
    »Sie bringen mich um mit ihren Lügen, Doktor D.!«, schrie er. »Sie quälen mich mit Laserstrahlen, legen mir die Wirbel frei, saugen mich aus. Stück für Stück holen sie mir die Organe raus!«
    »Wer macht das?«
    »Sie, die Menschenfresser, die weißen Zombies, kommen aus dem Strudel angekrochen, verdammte Federn, verdammte Vögel, kriechen aus dem Fleisch. Helfen Sie mir, Doktor D., kommen Sie doch und helfen Sie mir, das alles zusammenzuhalten, das abzuschütteln. Holen Sie mich woandershin, wo es sauber ist!«
    »Jamey, ich helfe dir …!«
    Bevor ich zu Ende reden konnte, hatte es ihn wieder gepackt, sein Flüstern klang gequält, als ob er zu Tode gemartert würde. Ich zog den Gürtel meines Morgenmantels enger und versuchte, mir vorzustellen, was ich ihm sagen könnte, wenn er wieder zu sich käme. Bei dem Gedanken, wie wenig ich tun konnte, musste ich ein Gefühl der Hilflosigkeit unterdrücken. Sollte ich auf seine Halluzinationen eingehen, sie akzeptieren, um damit zu erreichen, dass er sich beruhigte? Das Wichtigste war wohl, mit ihm in Kontakt zu bleiben und sein Vertrauen nicht zu verlieren. Je länger man mit ihm sprechen konnte, desto besser.
    Das war ein guter Plan, unter diesen Umständen wohl der sinnvollste, aber ich kam nicht dazu, ihn auszuführen.
    Jameys Geflüster steigerte sich schnell wie die Nadel auf einer Skala unbarmherzig zu dem schrillen Heulen einer Sirene, ging dann in ein klagendes Greinen über, bevor ein letzter Schrei durch das Klicken des aufgelegten Hörers abgeschnitten wurde.

2
    Der Nachtdienst der Canyon Oaks- Klinik informierte mich, dass er vor acht Uhr morgens keine Gespräche weitervermitteln könne, also erst in knapp fünf Stunden. Ich erklärte, dass ich Arzt sei und dass es sich um einen Notfall handele. Daraufhin wurde ich weiterverbunden. Es meldete sich eine ausdruckslose Altstimme, die der Dienst habenden Nachtschwester gehörte. Zuerst ließ sie mich reden, dann fragte sie misstrauisch nach meinem Namen.
    »Dr. Alex Delaware. Und mit wem spreche ich?«
    »Mrs. Vann. Gehören Sie zu unserer Klinik, Doktor?«
    »Nein, ich habe Jamey Cadmus vor einigen Jahren behandelt.«
    »Aha, und er hat Sie angerufen?«
    »Ja, vor ein paar Minuten.«
    »Das dürfte kaum möglich sein, Doktor«, sagte sie selbstzufrieden. »Mr. Cadmus ist in der geschloss… er ist telefonisch nicht erreichbar.«
    »Er war es aber, Mrs. Vann, und er war in sehr schlechter Verfassung. Wann haben Sie zuletzt nach ihm gesehen?«
    »Ich bin in einem anderen Gebäude.« Nach einer kurzen Pause: »Ich könnte dort einmal anrufen.«
    »Das sollten Sie unbedingt tun.«
    »In Ordnung, Doktor, vielen Dank für die Information und gute Nacht.«
    »Bitte sagen Sie mir, wie lange er schon in der Klinik ist.«
    »Ich bin nicht befugt, vertrauliche Informationen über Patienten weiterzugeben.«
    »Ich verstehe. Welcher Arzt hat Bereitschaftsdienst?«
    »Unser Direktor, Mr. Mainwaring. Ich kann ihn aber um diese Zeit nicht stören«, erwiderte sie abweisend.
    Im Hintergrund hörte ich gedämpfte Stimmen. Sie unterbrach das Gespräch für eine Weile, meldete sich dann mit nervöser Stimme wieder, um mir mitzuteilen, dass sie keine Zeit mehr habe. Dann legte sie auf. Das passierte mir nun schon zum zweiten Mal innerhalb von zehn

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