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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Charme auszeichnet: schindelgedeckte Häuser auf Pfeilern, deren Zwischenräume mit farbigem Glas ausgefüllt sind, »Rettet die Wale«-Aufkleber auf alten Volvos, starker Bedarf an biologischen Naturprodukten. Kurz vor Sunset liegen stattliche Landsitze. Auf dem Boulevard bog ich rechts ein, um auf den San Diego Freeway zu kommen. Ich passierte den Campus der Universität von Los Angeles an seiner nördlichen Grenze, die südliche Landebahn von Belair und fuhr dann an protzigen Haziendas auf Millionen Dollar teuren Grundstücken vorbei. Ein paar Minuten später kam die Zufahrt 405 in Sicht. Ich bog in die Auffahrt ein und schoss dann auf den Freeway.
    Auf der rechten Spur krochen ein paar Tanklastzüge, alle anderen fünf Spuren gehörten mir. Schimmernd und leer wand sich das schwarze Asphaltband vor mir und verlor sich in der Ferne. Die 405 ist ein Teilstück der Verkehrsader, die Kalifornien parallel zur Küste von Baja bis zur Grenze von Oregon durchläuft. Sie verschwindet unter dem Gebirgszug von Santa Monica in einem Tunnel. In dieser Nacht hing das Gebirge düster über mir, seine steil aufragenden Flanken trugen das erste Frühlingsgrün.
    Die Fahrbahn stieg aufwärts bis Mulholland und tauchte dann hinunter in das Tal von San Fernando. Ein atemberaubender Anblick bot sich plötzlich meinen Augen: ein pulsierendes, fernes Lichtermeer. So plötzlich, wie es erschienen war, verschwand es auch wieder bei Meilenstein 70. Ich bog nach rechts ab auf den Ventura Freeway und beschleunigte westwärts.
    Zwölf Meilen lang raste ich durch die Vorstadt: Encino, Tarzana (nur in Los Angeles benennt man eine Schlafstadt nach dem Urwaldmenschen), Woodland Hills. Ich war hellwach, aufgedreht und zu nervös, um dem Autoradio zuzuhören.
    Kurz vor Topanga tauchten aus dem nächtlichen Dunkel farbige Lichter auf, blinkende Kaskaden in leuchtendem Rot, Gelb und Kobaltblau, es sah aus wie ein riesiger Weihnachtsbaum mitten auf dem Freeway. Ich bremste sofort. Um diese Zeit sind gewöhnlich nur wenige Fahrzeuge unterwegs, aber plötzlich war eine ganze Menge da, Stoßstange an Stoßstange, ein Riesenstau.
    Eine Weile ließ ich den Motor noch laufen, merkte aber bald, dass die anderen Fahrer ihre abgestellt hatten. Einige waren ausgestiegen, lehnten an ihren Wagen, rauchten, schwatzten oder starrten in den Nachthimmel. Hinter einem silberfarbigen Porsche Targa stellte ich meinen Seville ab, stieg aus und ging auf den rothaarigen Spätdreißiger zu, der auf einer kalten Tabakspfeife herumkaute und eine juristische Zeitschrift studierte.
    »Entschuldigen Sie, wissen Sie, was hier los ist?«
    Der Porschefahrer sah von seiner Zeitschrift auf und lächelte mich freundlich an. Dem Geruch nach hatte er etwas anderes als gewöhnlichen Tabak in der Pfeife.
    »Verkehrsunfall. Alle Spuren sind blockiert.«
    »Wie lange warten Sie schon?«
    Ein schneller Blick auf seine Uhr: »Halbe Stunde.«
    »Wissen Sie, wie lange das noch dauert?«
    »Keine Ahnung, schlimmer Unfall.«
    Er steckte sich seine Pfeife wieder zwischen die Lippen, lächelte und vertiefte sich in einen Artikel über Seerechtsverträge.
    Ich ging auf der linken Fahrbahnseite weiter, an sechs Reihen abgestellter Fahrzeuge entlang. Auf der Gegenfahrbahn staute sich der Verkehr durch langsam fahrende Schaulustige. Der Gestank von Benzin wurde stärker, ich hörte Lautsprecher: Aus zahlreichen Polizeifunkanlagen scholl ein unzusammenhängendes Stimmengewirr. Nach ein paar Metern konnte ich die Szene überschauen.
    Ein riesiger Lastzug mit zwei Anhängern, insgesamt neun Achsen, lag über allen Spuren. Der eine Anhänger stand quer zur Fahrtrichtung, der andere war umgestürzt und ragte mit einem guten Drittel über den Rand des Highways. Die Verbindung zwischen beiden war ein Gewirr verbogenen und zerrissenen Metalls. Unter der gestürzten Stahlkarosserie war eine knallrote Limousine eingeklemmt und wie eine Bierdose zerquetscht worden. Wenige Meter entfernt stand ein größerer Tourenwagen, ein brauner Ford mit zerborstenen Scheiben, vorn und hinten wie ein Akkordeon gefaltet.
    Die Beleuchtung und den Lärm machten mehrere Löschwagen, ein halbes Dutzend Ambulanzen und ein großes Aufgebot an Feuerwehrautos und Streifenwagen. Um den Ford drängten sich zahlreiche Uniformen. Mithilfe einer eigenartigen Maschine, aus deren Vorderteil überdimensionierte Zangen ragten, versuchten sie immer wieder, die zerbeulte Fondtür zu öffnen. Weiß zugedeckte Körper wurden auf Tragen in

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