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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Arbeiten auszustellen. Er nannte mich eine Verbrecherin und Mörderin und verurteilte meinen Gebrauch der Nationalfarben. Der Drecksnazi.«
    Eine weitere Erwähnung von Eitel, dachte Fabel. »Waren Sie anwesend?«
    »Nein, er hatte es wohl vermutet. Das dürfte seinen Plan untergraben haben. Ich glaube, er hatte sich eine Auseinandersetzung mit mir vor den Fernsehkameras gewünscht.«
    Fabel nahm einen Schluck von seinem Tee. Menzel wandte sich dem Licht zu und schaute aus dem Fenster. Das Tageslicht ließ die Grautönung ihrer Haut erkennen.
    »Warum haben Sie Ihre Taten begangen? Warum sind Sie Svensson gefolgt?« Die Frage überraschte Fabel fast so sehr wie Marlies Menzel.
    Sie sah ihn neugierig an, als wolle sie herausfinden, ob sich Bosheit hinter seinen Worten verbarg. Dann hob sie die Schultern. »Es war eine andere Zeit und ein anderer Ort. Wir glaubten an etwas und an jemanden. Karl-Heinz Svensson übte einen unglaublichen Einfluss aus. Und er war äußerst manipulativ.«
    »Sind Sie ihm deshalb mit solchem Fanatismus gefolgt?«
    »Fanatismus!« Sie lachte leise und bitter. »Ja, Sie haben Recht. Wir waren fanatisch und wären für ihn gestorben. Und die meisten von uns taten es auch.«
    »Für ihn? Nicht für Ihre Überzeugungen?«
    »Oh, damals bildeten wir uns ein, dass wir Deutschland die sozialistische Weltrevolution bringen würden, dass wir Soldaten waren, die gegen die kapitalistischen Erben der Naziherrschaft kämpften.« Sie zog wieder intensiv an ihrer Zigarette. »Tatsache ist, dass wir alle in Karl-Heinz' Bann standen. Ist Ihnen aufgefallen, wie viele aus unserer Gruppe Frauen waren? Junge Frauen? Nach den Verhandlungen nannte die Presse uns ›Svenssons Harem‹. Wir hatten alle mit ihm geschlafen, wir waren alle in ihn verliebt.«
    »Eine Menge Menschen starben wegen dieser Schulmädchenschwärmerei.« Fabel konnte den Kummer in seiner Stimme nicht unterdrücken. Er dachte an den fünfundzwanzigjährigen Franz Webern, einen jungen Ehemann und Vater eines achtzehn Monate alten Babys, wie er tot auf der Straße lag. Er dachte an Gisela Frohm, wie sie langsam im trüben Wasser der Elbe versank.
    »Meinen Sie etwa, das wüsste ich nicht?«, gab Menzel zurück. »Ich habe fünfzehn lange Jahre in einer Zelle in Stammheim gesessen und darüber nachdenken können. Sie müssen begreifen, welche Macht er über uns hatte. Er verlangte unser totales Engagement. Das bedeutete auch, dass wir uns von unseren Familien, unseren Freunden, von jedem vernünftigen und rationalen Einfluss trennen mussten. Seine Stimme war die einzige, die wir hörten. Er war Mutter, Vater, Bruder, Genosse, Liebhaber ... alles für uns.« Die Leidenschaft schien wieder in ihr aufzuleben, bevor sie erstarb. »Er war ein betrügerischer Lump.«
    Sie zündete sich mit dem Stummel der letzten Zigarette eine neue an. Wieder wurde Fabel auf die gelben Flecken an ihren Fingerspitzen aufmerksam. »War Gisela so fanatisch wie die übrigen?«    
    Menzels Lächeln wurde von Trauer untermalt. »Fanatischer als alle anderen. Karl-Heinz war ihr erster Liebhaber, und sie war vernarrt in ihn. Sie hatten Recht, Ihnen blieb wirklich nichts anderes übrig, als sie zu erschießen. Karl-Heinz hatte sie zum Töten abgerichtet. Sie waren nur das Instrument ihres Todes. Er war der Urheber.«
    »Aber ich kann den Grund nicht begreifen.« Fabels Verwirrung war nicht vorgetäuscht. »Warum hatten Svensson - oder Sie - das Bedürfnis, so etwas zu tun? Was war so fürchterlich an unserer Gesellschaft, dass Sie ihr den Krieg erklären mussten?«
    Sie schwieg einen Moment lang. »Es ist die deutsche Krankheit. Ein Mangel an Geschichte. Ein Mangel an klarer Identität. Wir versuchen immer wieder herauszufinden, wer zum Teufel wir sind. Dadurch wurden wir in den Nationalsozialismus gelockt. Dadurch wurden wir nach dem Krieg zu Ersatz-Amerikanern wie fehlgeleitete Kinder, die sich um Versöhnung bemühen. Genau diese erzkapitalistische Popcorn-Banalität verachteten wir. Wir erklärten der Mittelmäßigkeit den Krieg« - sie lächelte spöttisch -, »und die Mittelmäßigkeit hat gewonnen.«
    Fabel starrte in seinen Tee. Er kannte die Antwort auf seine nächste Frage, doch er musste sie trotzdem stellen. »Ist Svensson wirklich tot?« 
    Es hieß, Svensson sei bei einem Attentatsversuch auf den damaligen Ersten Bürgermeister von Hamburg im nachfolgenden Schusswechsel gestorben. Eine Polizeikugel hatte den Tank seines Wagens getroffen, der in Flammen

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