Jan Fabel 01 - Blutadler
weiß nicht, was urplötzlich in ihn gefahren ist, aber er sagte, er müsse sich verabschieden. Ich fragte ihn, warum er es so eilig habe, doch er hat mir keine vernünftige Antwort gegeben. Er wollte heute wiederkommen, aber ich habe ihn aufgefordert, noch etwas länger zu bleiben und sich weitere Fotos anzugucken. Ich ließ ihn an einem Tisch Platz nehmen und ging zum Tresen - und als ich zurückkam, war er weg. Das war der Zeitpunkt, als du versucht hast, mich zu erreichen. Ich bin herumgelaufen und habe nach ihm gesucht.«
»Aber du hast seine Aussage?«, fragte Fabel. Werner bestätigte es.
»Ich würde mir keine Sorgen darüber machen, dass er abgehauen ist, Werner. Schließlich muss er seine Sucht stillen, und er schien mir besonders kaputt zu sein. Wir schnappen ihn schon, wenn er nicht vorbeikommt.« Fabel wandte sich an Maria. »Hast du die Informationen über die Eitels?«
Maria reichte Fabel einen Ordner. »Eitel senior ist kein angenehmes Thema. Meine Notizen sind da drin, aber ich kann den Inhalt zusammenfassen. Wolfgang Eitel ist neunundsiebzig Jahre alt. Er stammt aus Passau in Niederbayern. Bis 1942 war er Mitglied der Hitlerjugend und trat dann in die SS ein. Wie die meisten SS-Halunken scheint er an selektivem Gedächtnisverlust zu leiden, aber wenn man den Unterlagen trauen kann, begann er als Untersturmführer und war bis zu seiner Verhaftung durch die Alliierten zum Hauptsturmführer aufgerückt.«
Fabel zog das Schwarzweißfoto eines arroganten jungen Mannes hervor, der höchstens einundzwanzig Jahre alt sein konnte, jedoch versuchte, älter und dadurch Respekt einflößender zu wirken. Er trug eine SS-Uniform. Fabel hatte erwartet, den Doppelblitz am Uniformkragen zu sehen, also die alten Sigrunen, die die Nationalsozialisten als Insignien für die Schutzstaffel übernommen hatten. Auf dem Foto fehlten die Sigrunen jedoch. Vielmehr trug Eitel auf dem rechten Kragenspiegel einen weißen aufrechten Löwen vor einem schwarzen Hintergrund. Fabel hielt Maria das Bild hin. »Was bedeuten die Insignien?«
Maria lächelte. »Das ist wirklich interessant. Vermutlich handelt es sich um einen Zufall, aber das sind Insignien der 14. SS-Waffengrenadierdivision, die auch als ›Division Galizien‹ bekannt war. Wie ihr wisst, umfasste das slawische Fürstentum Galizien einen Teil der heutigen Ukraine. Und die Division Galizien bestand aus Ukrainern, die ihr Land von Stalin befreien wollten.«
»Ukrainische Soldaten, aber deutsche Offiziere.«
»Überwiegend, ja. Und Eitel war einer von ihnen. Nach der Niederlage in der Schlacht bei ...«, Maria machte eine Pause und zog ihre Notizen zu Rate, »... Brody zog sich die Division nach Österreich zurück. Dort kapitulierte Eitel vor den westlichen Alliierten, um nicht den Sowjets in die Hände zu fallen. Nach dem Krieg saß er vier Jahre lang in Haft. 1956 gründete er Eitel Import in München und brachte es bis Mitte der Sechzigerjahre zum Multimillionär. Seine verstorbene Frau kam aus Hamburg, und 1972 verlegte er seine Zentrale hierher. Er half seinem Sohn, die Eitel-Mediengruppe aufzubauen, und verkaufte Eitel Import vor zehn Jahren an die Gruppe. Dadurch konnte er sich auf seine ›politische‹ Karriere konzentrieren. 1979 gründete er den Bund Deutschland für Deutsche oder BDD. Bis zum Fall der Mauer und der Wende richtete er wenig aus, und sogar danach erhielt er nur schwache und sporadische Unterstützung. Kurz gesagt, ein ganz mieses Stück.«
Fabel starrte Maria an, als könne er die Informationen so besser verarbeiten. Dann sagte er: »Es ist seltsam, wie oft die Ukraine auftaucht.«
»Diesmal ist es, wie erwähnt, wahrscheinlich eher Zufall«, erwiderte Maria.
Fabel zuckte die Achseln. »Mag sein.« Er wartete einen Moment lang. »Was ist mit dem Sohn, Norbert?«
»Ein Boulevardverleger mit politischen Ambitionen. Er hat in Hamburg und Heidelberg studiert und mit Hilfe seines Vaters, der ihn auch finanziell unterstützt, Schau mal! gegründet. Durch Akquisitionen und Wachstum hat sich die Eitel-Gruppe auf alle Medien ausgebreitet, auch auf das Internet.«
»Deshalb braucht sie jemanden wie MacSwain«, unterbrach Werner.
Maria fuhr fort: »Die Gruppe hat auch Anteile an Boulevardzeitungen in den Niederlanden, in Polen und Tschechien. Außer in der Medienbranche ist sie im Immobilienverwaltungsgeschäft und, im kleineren Rahmen, in der Grundstückserschließung tätig. Dazu kommt das Import-Export-Geschäft, das Norbert von
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