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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Stämme, aus denen die Deutschen hervorgingen. Männer und Frauen, Bauern und Krieger, freie Menschen und Sklaven. Asatru war nicht ausschließlich die Religion der Angreifer, genau wie das Christentum nicht ausschließlich die Religion der Nazis war. Außerdem ist die Herkunft des Wortes ›Wikinger‹ unklar. Manche meinen, es leite sich von ›Vik‹, also Dorf, her. Die Wikinger seien also bloß Dorfbewohner gewesen, die sich auf Handelsreisen und Überfälle begaben, wenn die Ernten die Bedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung nicht decken konnten. Ihre Überzeugungen gründeten sich eher auf die Natur als auf den Krieg.«
    »Aber sie brachten Blutopfer«, sagte Fabel.
    »Ja, und das tun wir noch heute. Die Hlautbowl ist das Gefäß des Blot. Heute füllen wir sie mit Met und trinken daraus, bevor wir den Teil, der den Göttern zugedacht ist, opfern. Blot ist das altnordische Wort für ›Blut‹. In alten Zeiten füllte man die Hlautbowl mit dem Blut eines geschlachteten Tieres. Es wäre ein Fehler, diesen Akt für barbarisch oder ungewöhnlich zu halten. Man schlachtete das Tier für das Blot auf ähnliche Weise wie für eine Mahlzeit, die mit einem Besucher geteilt wurde. Asatru hat eine direktere Beziehung zu seinen Göttern, und sie werden eher wie reale, lebende Teilnehmer am Alltagsleben behandelt.« 
    »Und Opfer spielen für Asatru keine Rolle mehr?«
    »O doch, und zwar eine große Rolle. Das Blot ist immer noch ein Opferritual. Aber im Asatru wird nun das Opfer im Sinne eines Geschenks dargebracht. Manchmal gießen wir Met auf den Boden, um Mutter Erde zu ehren. Wir geben ihr ein Geschenk für ihre Geschenke an uns. Unsere Opfer und Symbole sind vom Christentum übernommen worden, zum Beispiel in Form der katholischen Messe oder der Erntedankfeste. Ostern ist die Vereinnahmung der Göttin Eostre, die sich in eine Häsin verwandelte und goldene Eier auf den Feldern versteckte. Deshalb suchen Kinder noch heute nach Ostereiern.«
    »Spielen Frauen eine Rolle in Ihrer Religion?«, fragte Maria.
    »Natürlich, Frau Oberkommissarin.« Jannsens Lächeln war fast lüstern zu nennen. »Frauen sind die Spenderinnen des Lebens. Sie werden im Asatru verehrt, und häufig sitzt nicht der Gothi, sondern die Gythia oder Priesterin dem Blot vor.«
    Maria zeigte sich unbeeindruckt. »Und was ist das besondere ›Geschenk‹, das Frauen darbringen müssen?«
    »Ich verstehe Ihre Frage nicht«, erwiderte Jannsen, doch seine Miene strafte ihn Lügen.
    Fabel griff in die Innentasche seiner Jacke und holte einen Abzug des Fotos hervor, das man im Stadtkrankenhaus Cuxhaven von Michaela Palmers Stirn gemacht hatte. »Dies ist anscheinend die Rune Gebo.«
    Jannsen hob die Schultern. »Es könnte auch einfach ein Kreuz sein. Ein ›X‹.«
    »Dieses Zeichen war auf die Stirn eines Opfers geschmiert, das gezwungen wurde, bei einem nordischen Ritual mitzuwirken. Das Mädchen wurde wiederholt von Männern vergewaltigt, die Masken mit einem einäugigen, bärtigen Gesicht trugen.«
    Jannsen zuckte zusammen. »Wotan oder Odin.« Er überlegte einen Moment lang. »Wer immer diese Leute sind, Herr Fabel, sie begehen nicht nur ein schreckliches Verbrechen, sondern sie beleidigen auch einen friedlichen, sanften Glauben. Asatru hält - im Gegensatz zu anderen Religionen - die Freiheiten und Rechte des Individuums für unantastbar. Ich werde Ihnen im Rahmen meiner Möglichkeiten helfen.« Er betrachtete das Foto noch einmal. »Ja ... ja, das könnte die Rune Gebo sein. Sie hat eine besondere Bedeutung für das Blot. Als Symbol des Gebens und des Opfers. Wie gesagt, die beiden Begriffe sind eng miteinander verbunden.«
    »Sie meinen also, dass sich keiner Ihrer Glaubensbrüder auf so etwas einlassen würde.«
    »Auf keinen Fall! Das ist eine Verfälschung unseres Glaubens. Ungefähr so, wie eine schwarze Messe eine Verfälschung des Katholizismus ist.« Er schien etwas abzuwägen.
    »Was ist denn, Herr Jannsen?«
    »Es gab Gerüchte ... vor ein, zwei Jahren.«
    »Worüber?« Die Ungeduld in Marias Stimme war nicht zu überhören. Fabel warf ihr einen raschen Blick zu.
    »In und um Hamburg gibt es mehrere Asatru-Gruppen. Wir alle vertreten im Wesentlichen die gleichen Glaubensgrundsätze und lehnen jede negative, brutale Auslegung ab. Aber wie jede andere Religion kann auch unsere eine finstere Form annehmen. Vor zwei Jahren war von der Abspaltung einer Gruppe die Rede. Sie hatte anscheinend wenig Mitglieder und soll in ihrer Auswahl sehr

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